Ausgangssperre

Gestern
Nach langem Herum-Geeier schleppe ich mich in die Werkstatt und lege Hammer und Bohrmaschine bereit. Als könnte ich damit die Gedanken aus meinem betonschweren Kopf lösen.
Heute werde ich anfangen, eine alte Holzkiste zu einem Schlüsselbrett umzubauen. Seit Wochen habe ich mich darauf gefreut. Es ist gewissermaßen die Kür der Wohnzimmer-Renovierung. Warum muss ich mich jetzt dazu überwinden?

Seit 2 Tagen bin ich bedrückt. Mein Hirn ist zäh wie Kaugummi und die Kreativität klebt wie vertrockneter Brei in meinem Kopf. Was ist bloß los mit mir?

Nachdem der erste Lockdown im März 2020 bei mir fast im Burnout geendet ist, habe ich mich gut mit der Situation abgefunden. Ich habe in meine Kreativität und Kunst investiert wo ich konnte und mir mit Capoeira ein Stück Brasilien und Bewegung ins Wohnzimmer geholt. Naja gut, ich habe ein paar Kilo zugelegt, aber alles in allem kam ich zurecht. Und jetzt das. Warum nur?

Meine Sehnsucht nach Freiheit im Lockdown lebe ich u.a. in der Malerei aus



Heute, 20.50 Uhr.
Ich bin antriebslos, Tränen wollen aus meinen Augen raus, aber ich verhänge ihnen Ausgangssperre. Sollen sie doch mal sehen, wie das ist!!! Moment mal, habe ich das gerade wirklich gedacht?!
Ich bin seit Oktober fast jeden Abend zu Hause gewesen, habe gemalt, getextet, gebastelt, gezappelt und mir ging es gut! Es ist ja nicht so, dass ich als Mutter von drei Kindern ständig ins Theater oder ins Restaurant gegangen wäre. Mir ging es gut dabei. Und gerade jetzt, wo seit zwei Tagen ab 21 Uhr Ausgangssperre gilt, denke ich ständig ans Judo, sehne mich nach meinem alten Kontaktsport, träume vom Geruch der Judomatte.
Ich sehne mich plötzlich nach Urlaub, nach Partys und überhaupt nach Turnhallen voller Sportverrückter. Was stört mich?
Eigentlich wollte ich malen. Etwas Schönes, Farbenfrohes sollte es werden. Stattdessen haue ich meinen Frust in die Tastatur.

Was ist los mit mir?
Heute Vormittag habe ich noch mit den Kindern das heiß ersehnte Schlüsselbrett fertig gebaut. Wir haben einige ausrangierte Schlüssel zu Haken verbogen.
Einige sind zerbrochen. Meine Kinder haben mich bei jedem Hammerschlag angefeuert und mitgefiebert, ob der Schlüssel wohl hält. Und am Ende haben wir genügend Haken hinbekommen. Ich war so glücklich über den Erfolg.

Ausgediente Schlüssel wurden zu Haken

Was ist so anders an diesem Vormittag gewesen? 
Es war ekelhaftes Wetter. Niemals wäre ich freiwillig rausgegangen. Aber ich hätte es gedurft. Jetzt darf ich es nicht.

Ich spüre, wie ich Lust habe, wieder Schlüssel zu verbiegen. So lange, bis ich damit dieses verdammte Schloss aufschließen kann.  Jemand hat meine Tür von außen verriegelt. Das ist es, was mich fertig macht. Ich fühle mich wie ein Kind, dass man im Kinderzimmer einsperrt und ihm seine Hobbys verbietet, weil es Mist gebaut hat.

Ich habe aber keinen Mist gebaut. Ich bin lieb gewesen, habe mich brav an die Regeln gehalten: AHA, Maske, Homeoffice wenn nötig, Kontakte auf ein Minimum reduziert, nur noch einen großen Einkauf pro Woche.

Wer versucht, etwas zu verbiegen, läuft Gefahr, es zu zerbrechen.

Ich mache mir Sorgen, weil mein innerer Rebell jetzt erwacht. Ich ertappe mich bei dem Gedanken: “Nö! Ich mache nicht mehr mit!”
Ich werde ihn mit Vernunft bezwingen, werde das Kind in mir in den Arm nehmen und es trösten. Ich werde wieder meinen Freiheitsdrang in Onlinekonferenzen ausleben und meine innere Rebellion in Kreativität umsetzen. Ich werde weiter meinen Wunsch nach Tapetenwechsel in der Renovierung ausleben, wenn es sein muss und weiter hübsche Südländer malen. So lange ich muss.

Das fertige Schlüsselbrett will ich euch nicht vorenthalten

Schlüssel verbiegen, wenn es sein muss
Aber heute umgehe ich die Ausgangssperre. Wenigstens dieser Text von mir soll raus in die Welt! Ich wünsche mir sehnlichst, dass Verantwortliche wissen, was diese bescheuerte Ausgangssperre in mir bewirkt. 
Menschen, die freiwillig drin bleiben, schließt man nicht ein. Denn möglicherweise bin ich nicht die Einzige, deren Freiheitsdrang durch diese “Schutzmaßnahme” verstärkt worden ist. Ich fühle mich bedroht und meiner Entscheidungsfreiheit beraubt.

Gerne verbiege ich auch Schlüssel für euch und helfe euch, Lösungen für diese kräftezehrende Scheißlage zu finden. Gerne setze ich meine Kreativität auch für die Gesellschaft ein. Bitte lasst mir die Freiheit, kreativ zu bleiben.
Auch dann, wenn ich notfalls dafür mal einen Menschen treffen muss. Und auch dann, wenn ich notfalls mal mein Grundstück nach 21 Uhr verlassen muss. Denn wenn ich eines aus dieser Schlüssel-Verbiegerei gelernt habe, dann dass ich Gefahr laufe etwas zu zerbrechen, wenn ich es verbiegen möchte.

(c) Ramona Eibach, www.funkelflocke.de

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