Der Kaffee hat Schuld

Der Kaffee hat Schuld. Vielleicht wollte er sich dafür rächen, dass ich ihn schon seit Wochen in rauen Mengen missbraucht habe. Mir ist es egal, ich drehe den Spieß herum. Ich gebe ihm die Schuld. So macht man das heutzutage: Dem die Schuld in die Schuhe schieben, der mir Dinge vor Augen hält. Deshalb bleibe ich dabei: Der Kaffee ist der Schuldige. 


Dabei hat das Jahr doch ganz gut angefangen. Noch etwas benommen von zu wenig Schlaf in der Silvesternacht hat mich am Neujahrsmorgen die Abenteuerlust gepackt. Ich habe mich so richtig was getraut. Ich habe es gewagt, nachzudenken. Um meinen Mut noch zu unterstreichen, habe ich mein Neujahrsritual mit einem großen Kaffee im Gepäck angetreten. In die Badewanne legen, nachdenken, reflektieren. Ich weiß, ich wiederhole mich, aber das ist das Mutigste, was ich an diesem Tag zu Stande bringen kann. Mutig deshalb, weil man beim Nachdenken Glück oder Pech haben kann.

Mehr als zwei Wochen lang kämpfen wir als Familie schon gegen die Grippe. Ich selbst bin mit einem leichten Schnupfen davongekommen. Aber die Herausforderungen der letzten Monate hatten mich schon vorher geschwächt. Inzwischen ist es so, dass mir kein Wort zu meiner Verfassung einfallen will, das zu Beginn eines Jahres nicht zu depri klingt. Die kommende Zeit soll schließlich hoffnungsvoll erscheinen. Lohnen soll sie sich.

Was tun, wenn die Aufbruchstimmung nicht kommen will?

Ich helfe ihr mit einer Reise auf die Sprünge. Äußerlich vom Wohnzimmer bis zum Bad, emotional vom Äquator über den Mount Everest bis zum Nordpol. Das trifft es auch von der Temperatur her ganz gut, ließ uns 2022 doch im Sommer schwitzen und im Winter um Heizkosten und Zukunft bibbern. Um mir selbst meinen Wagemut zu beweisen und die Müdigkeit nicht allzu laut dazwischen quatschen zu lassen, wähle ich einen extra großen Kaffee in der Tasse mit der Aufschrift „Abenteurer“. Ungelenk fingere ich „abenteuerlustig“ das Gefäß vom Wannenrand und führte sie bis zum Mund. Da spielt mir der Kaffee einen Streich.

Der Kaffee spielt mir einen Streich:
Aufdringlich springt mir das Wort „teurer“ entgegen.


Braun und unübersehbar läuft er außen an der Keramik herunter und setzt sich in einen Teil der Buchstaben. Aufdringlich springt mir entgegen, welchen Teil des Wortes das Getränk da markiert hat: TEURER. „Na toll,“ denke ich, „das ist es was das kommende Jahr beschreibt: es wird teurer.“ Leider hat der blöde Kaffee Recht. Er bestätigt aber auch den Rest des Wortes: Wer nachdenkt, wird dadurch mitunter zum Abenteurer.

Pech beim Nachdenken

Ich finde erstaunliche Parallelen zum vergangenen Jahr. Es ist nicht das herausgekommen, was ich mir Anfang 2022 erhofft hatte. Es gab wichtige Erkenntnisse und Ereignisse, mit denen nicht zu rechnen war. Ich habe wenig Sport gemacht, Verletzungen erlitten, Muskeln abgebaut, Fett angesetzt, familiär Nerven gelassen und definitiv über meine Möglichkeiten gearbeitet. Plötzlich ist Krieg in Europa, alles wird teurer, wir denken über Dinge nach, die wir uns nicht vorstellen konnten. Menschen in unserem Umfeld sind gestorben und geboren worden. 

Es gab auch Gutes: Ich habe unter anderem ein Buch (fast fertig) geschrieben, eine neue Maltechnik gelernt, Menschen kennen gelernt, viele berufliche und auch private Fortbildungen gemacht, für meinen Arbeitgeber ein Kinderbuch und ein Magazin betreut. Wenige Kurzgeschichten und viele Artikel von mir sind veröffentlicht worden. Andere abgelehnt. Insgesamt bin ich optimistisch, dass ich mich auch durch 2023 hindurch-schreiben, -malen, -zappeln werde. Hoffentlich wird das Jahr wieder sportlicher und vielleicht mit etwas Glück auch leichter. Mit etwas Pech auch etwas schwieriger.

Ich lasse es kommen, auch wenn nicht nur meine Tasse mir prophezeit, es werde teurer. Es liegt an mir, aus „teurer“ wieder „Aben-teurer“ zu machen. Sollte es mir nicht gelingen, zaubere ich die Ausrede des Jahres aus dem Ärmel: Der Kaffee hat Schuld.

(c) Ramona Eibach, www.funkelflocke.de

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