Das Drama beginnt mit einer E-Mail. Die arglose Senderin (die Klassenlehrerin meiner Tochter) konnte nicht ahnen, was sie damit auslösen würde. Der Code zum Chaos, der Schlüssel zur Verzweiflung im Anhang. Die Material-Liste fürs nächste Schuljahr. Listen sind Lasten. Das könnte mein Motto werden, wenn sie nicht zugebenermaßen auch irgendwie sinnvoll wären. Für eine Organisationschaotin wie mich sind sie immer wieder ein Grund zur Verzweiflung.
Diesmal scheint die Liste aber harmlos zu sein, denn ich habe vorgesorgt. Ich lese: „Füller, Geodreieck, 30 cm Lineal…“ Ich feiere jeden dieser Punkte. All das haben wir vor dem ersten Schuljahr schon zum Ranzen dazubekommen und ich habe die Sachen sorgfältig aufbewahrt. Und noch besser: Ich weiß genau, wo sie liegen! Ich werde also irgendwann in der letzten Ferienwoche das Zeug aus der Kiste auf dem Dachboden kramen, den Rest schnell einkaufen und fertig! Das wird ein Kinderspiel in diesem Jahr.
Ich vergesse vor Begeisterung kurz, dass das Wort „List“ im Wort „Liste“ enthalten ist. Diese hier ist besonders listig. Denn schließlich ist sie allein Schuld an dem, was dann passiert.
„Mama, ich brauche einen Füller!“
Meine Tochter ruft mir die Neuigkeit entgegen und ich bin vorbereitet. „Ja, ich weiß. Wir haben einen.“ „Mama, die Frau H. hat gesagt, wir sollen im Laden ausprobieren, ob wir damit schreiben können oder ob wir mit Tintenroller besser schreiben können. Kann ich den heute ausprobieren?“ Da es Bindfäden regnet, bin ich dankbar für diese Idee.
Nach dem Mittagessen stapfe ich frohen Mutes die Treppe zum Dachboden hoch. Wie ein Storch im Salat stakse ich durch Kartons. Ich wollte längst aufräumen. Aber so ein ungedämmter Dachboden unterm Dach hat unschlagbare Vorteile: Im Sommer ist es dort zu heiß zum Aufräumen und im Winter viel zu kalt. Also habe ich immer eine Ausrede. Zu meinem eigenen Erstaunen komme ich ohne Verletzungen bei der Kiste mit den Schulsachen an. Ich stutze, als ich sie öffne. Ich finde 30 cm Lineal und Geodreieck. Aber der Füller hat sich in Luft aufgelöst. Ich kürze die Geschichte ab: Ich finde ihn nicht. Nicht auf den Dachboden und nicht in der Wohnung.
Ich versuche alles: Fast eine Stunde lang suche ich den Füller im Sauhaufen. In der Zeit streiten die Kinder ordnungsgemäß. Mir läuft der Schweiß in der Hitze der Rumpelkammer. Und starte ich völlig entnervt einen letzten Rettungsversuch: Ich gebe meinem Mann die Schuld dafür (denn schließlich ist er NOCH chaotischer als ich und er könnte ja auch mal aufräumen). Doch sogar diese todsichere Methode funktioniert nicht.
Das Teil ist weg. Vom Dach-Boden verschluckt. Der Füller hat sich in dicke Luft aufgelöst. Die Stimmung ist im Keller. Meine Tochter unglücklich, die Kinder zerstritten und der Dachboden von Suchen noch unordentlicher als zuvor.
Ich habe aus der Sache gelernt und fasse einen Entschluss. In Zukunft lasse ich mich nicht mehr von hinterlistigen Listen überlisten. Denn schließlich habe ich noch zwei weitere Kinder, die irgendwann Material-Listen für die Schule bekommen werden: Ich kaufe einen neuen Füller. Wenn der erste auftaucht, werde ich ihn einfach ordnungsgemäß für das nächste Schulkind verlegen.
(c) Ramona Eibach, www.funkelflocke.de