Die Osterstütze

In diesem Jahr brauchte mein persönliches Osterfest eine Stütze. Ich fand sie unverhofft in einem Blumenladen.

Sie denken zu viel!
„Sie denken zu viel!“ Der Trainer schaut mich streng an. Ich befinde mich gerade bei der Einführung zum Stickwalking in einer Rehaklinik. Es will mir nicht gelingen, die Stöcke und meine Beine zu koordinieren. Und prompt höre ich den selben Satz, den mein Capoeira Trainer mir oft gesagt hat: „Du denkst zu viel.“

Das hat mir heute noch gefehlt. Weil ich dem Zwang zum frühen Aufstehen an Ostern entkommen möchte, will ich das Reha Frühstück sausen lassen. Ich besorgte mir also eigenes Frühstück. Ich habe alles: Brötchen, Marmelade, Margarine und Obst. Was aber fehlt und ein Osterfrühstück besonders macht, ist ein Osterei.

„Ich werde es schon überleben!“, dachte ich und nahm viel zu spät wahr, was da noch in mir los war. Ich war schon auf dem Rückweg aus dem Dorf und mir blieb keine Zeit mehr, umzukehren. Kein Osterei! Ich fragte am nächsten Café. „Nein, wir verkaufen keine Eier, sonst haben wir Ostern nicht genug!“ Ich wollte bitten, betteln, schreien, aber ich konnte nicht. Der Kloß im Hals ist war groß. Ich weinte, als ich mich fürs Sportprogramm umzog. Mein Zimmer ist kahl, nichts deutet auf Ostern hin, bis auf ein verlorenes gelbes Plastik-Ei, das mir als Deko dient. Und jetzt scheint mich sogar das Stickwalking zu überfordern. Kein Mensch glaubt mir, dass ich sonst Kampfsport betreibe!

Machen Sie es einfach intuitiv!
Eine andere Reha-Teilnehmerin hat sich offenbar selbst zur Expertin ernannt. Sie weist mich ständig auf meine Fehler hin. Danke. Ich habe es auch bemerkt. Der Trainer sagt: „Machen Sie es einfach intuitiv, dann klappt das!“ 
Er behält Recht. Gegen Ende der Einweisung beginne ich gerade, zu verstehen, wie es läuft. Ich schaue auf die Uhr. Noch 45 Minuten bis zum Mittagessen. Ich gehe einfach los. Richtung Supermarkt mit Stöcken. Koste es, was es wolle. Ich gehe jetzt mit den Stöcken zum Supermarkt, dann bekomme ich Übung und spare Zeit. Glücksgefühle überkommen mich, als ich ein paar Schokoeier und drei gekochte Eier bezahle. Ich freue mich auf mein Osterfrühstück. Selbst gefangen schmeckt es eben am besten.

Da fällt mir das trostlose Zimmer wieder ein. 
Beim Blumenladen erwerbe ich noch eine blühende Narzisse für den Balkon. Glücklich über die gelungene Ostervorbereitung stelle ich fest, dass es jetzt auch mit den Gehstöcken klappt.

Osterstütze


Im Zimmer angekommen packe die Blume aus und stutze: Da steckt ein Ginsterzweig, der ihr Halt gibt! Der war da vorher nicht, da bin ich sicher. Ich erinnere mich: Die Floristin hatte vorhin was von: „Die braucht eine Stütze“ gemurmelt. Sie hat meiner Narzisse das gegeben, was auch ich benötigt habe: Eine Stütze gegen hängende Köpfe. Das passt so gut zu meinen Ostervorbereitungen.

Ostern ist das Fest der Auferstehung. Die Tränen über das erste Ostern ohne Osterei waren grundlos. Aber sie haben mir gezeigt, dass ich dieses Fest brauche. Die Stütze brauche ich nicht nur gegen meinen hängenden Kopf, sondern auch als Gedankenstütze:
Da hat jemand den Tod besiegt! Durch die Erinnerung daran hat sich die Jagd nach dem Osterei doppelt gelohnt. Der Trainer hat Recht: Intuitiv geht manches besser und manchmal denke ich zu viel. Aber das hat auch Vorteile: Wer denkt, hat hin und wieder auch Einsichten. Der Herr ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden! Das sage ich mir ganz bewusst.

(c) Ramona Eibach, www.funkelflocke.de

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