Mein Herz klopft, als ich das Streichholz an der Reibefläche ansetze. Jahrelang war die kleine Petroleumlampe außer Gefecht gesetzt. Ich sage ihr: „Jetzt darfst du wieder leuchten.“ Ihre kleine Flamme rührt mich.
Vor zwei Jahren haben Nachbarn ihren Dachboden ausgemistet. Vor ihrem Haus standen alte Werkzeuge und Metallschrott, der zum Schrottplatz sollte. Der Nachbar wusste von meiner Leidenschaft für Upcycling und fragte, ob ich mal schauen wollte. Ich schnappte mir unter anderem eine alte Kartoffelharke, einen Rechen, einen Klappspaten und ein Wiesenbeil. Dann zog ein ölverschmiertes Etwas meine Aufmerksamkeit auf sich. Eine alte Petroleumlampe! Vielleicht ließ sich daraus Deko machen. Ich nahm sie mit und hängte sie an unerreichbarer Stelle in den Keller. So war es besser, denn meine Hände waren rabenschwarz. Meine Hoffnung, das Ding sauber zu kriegen, war mindestens genauso dunkel. So vergaß ich das Lämpchen.
In der Woche vor Ostern wurde ich von einem unbändigen Tatendrang gepackt, etwas Kreatives zu tun. Fürs Schreiben war mein Kopf zu voll, zum Malen war ich körperlich nicht in der Lage. Da fiel mir die Lampe ein. Ohne groß nachzudenken, stellte ich sie auf die Werkbank, nahm automatisch eine kleine Drahtbürste aus dem Regal und begann das Metall zu bearbeiten. Ich war erstaunt, denn es kam eine Schrift zum Vorschein. Ich setzte die Drahtbürste am Glas an, neugierig, was sich zeigen würde, aber ich zog sie sofort zurück. Mir schoss der Gedanke durch den Kopf: “Mach das nicht! Vielleicht zerstörst du das Glas!” Gott sei Dank habe ich darauf gehört.
Ich begann, das Gerät zu untersuchen. Schnell fand ich heraus, dass man das Glas herausnehmen kann. Da es innen und außen dick mit klebrigem schwarzen Zeug beschmiert war, glaubte ich aber nicht, dass es jemals sauber würde.
Lichtlose Leuchte
Der Tankdeckel ging nicht auf, ein Docht war nicht zu sehen. Es würde nicht leuchten. Davon war ich überzeugt. Aber es würde eine hübsche Deko abgeben. Ich putzte das Lämpchen. Ich stellte fest, dass das schmierige Zeugs vermutlich Petroleum war, ausgelaufen. Es hatte den Lack hervorragend vor Rost geschützt. Nur ein paar Stellen waren rostig, vor allem am Tankdeckel. Der schien allerdings wirklich mit dem Gewinde verwachsen zu sein.
Als der Schmier runter war, nahm ich mir das Glas vor. Ich entdeckte, dass es rot ist. Von meinem Vater, der gelernter KFZ Mechaniker ist, habe ich gelernt, dass man Öl gut mit Pflanzenmargarine entfernen kann. Ich schmierte das Glas damit ein. Es funktionierte! Auch dort entdeckte ich eine Inschrift: Feuerhand Atom. Das stand auch auf dem Tank. Einmal gründlich mit Spülmittel nachgereinigt, lag ein wunderschönes glänzendes rotes Glas vor mir. Ich setzte es ein. Die Lampe war zwar nicht funktionstüchtig, aber sie gab eine hübsche Deko ab. Vielleicht würde ich irgendwann ein LED einsetzen.
Licht mit dunkler Vergangenheit?
Bevor ich das Projekt abschließen konnte, musste ich mehr über die Lampe erfahren. Ich googelte die Inschrift. Innerhalb von Sekunden spuckte meine Suchmaschine aus: Feuerhand Atom 75. Gebaut zwischen 1936 und 1942. Ein Sammlerstück und in dem Zustand gar nicht mal so wenig Geld wert. Petroleumlampen wurden unter anderem von der Wehrmacht eingesetzt. Sie hat also möglicherweise Nazi-Vergangenheit.
Ich dachte in den kommenden Tagen viel über das Lämpchen nach. Ich hatte sie poliert, nichtsahnend, um was es sich da handelt. Ich habe Liebe gespürt, als ich unter dicken Schmier ein Sammlerstück entdeckte. Zugegeben, ein kleines Licht. Darf sie leuchten? Würde sie es auch dürfen, wenn ich sicher wüsste, dass sie für Militärbelange eingesetzt wurde?
Ich muss sagen, dass mich gerade die unklare Geschichte der kleinen Lampe zu der Überzeugung brachte, dass sie DOCH wieder leuchten soll. Sie ist dazu gemacht! Sie kann nichts dafür, wofür man sie eingesetzt hat. Es kann sein, dass sie Schlachten überlebt hat. Vielleicht hat sie sogar jemandem das Leben gerettet. Vielleicht war sie auch nur ein harmloses Partylämpchen. Wer weiß?
An mir gibt es einiges, das nicht gerade rühmlich ist. Manchmal habe ich vielleicht gerade deshalb den Wunsch, trotz allem leuchten zu dürfen.
Es war Zeit, diesem Wunsch nachzuspüren. Sie ist ein Sammlerstück und jeder Mühe wert.
Du darfst leuchten!
Eine Lampe ist zum Leuchten gebaut, und wenn sie nicht leuchtet, fehlt das Wesentliche. Ich gab also mir einen Ruck. Nach einer Nacht eintauchen in Rostlöser ging der Tankdeckel auf. In einem Forum für Petroleumlampen-Liebhaber fand ich heraus, wie man den Brenner aus der Lampe löst. Er war voller Wachs und es gab keinen Docht mehr. Aber der Tank war in einem super Zustand! Mit einer Nadel pfriemelte ich das ganze Wachs aus den Luftlöchern des Brenners heraus. Dann putzte ich gründlich die Einzelteile und maß den Durchmesser des Lochs für den Docht: knapp 6mm, behauptete die Schieblehre. Es hat lange gedauert, bis ich in einem Bastelladen online den passenden Flachdocht gefunden habe.
Ich war so hibbelig, dass ich allen davon erzählte.
Du auch!
Ich habe die kleine Lampe aufgearbeitet, weil ich etwas Kreatives tun musste. Auch ich war gerade in einem Zustand, in dem ich restaurierungsbedürftig war. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich tief in mir drin verstanden, dass es wirklich Wertvolles an mir gibt. Die Lampe hat Anteil daran. Ich stelle mir vor, wie Gott mein Potenzial sieht, so wie ich die Öllampe leuchten sehen habe, obwohl sie das nicht konnte.
Wie sie, habe auch ich jemanden gebraucht, der meinen Brenner reinigt und meinen Tankdeckel entrostet, damit ich wieder leuchten kann.
Ich habe ein neues Ritual eingeführt. Einmal am Tag zünde ich die Lampe an. Ich sage ihr: „Du darfst leuchten!“ Es ist ein bisschen , als würde sie antworten: „Du auch!“
(c) Ramona Eibach, www.funkelflocke.de
Neues Licht am Ende des Geschichte (aktualisiert am 28.04.)
Die Geschichte geht weiter. Im Forum für Petroleumlampen-Liebhaber habe ich meine Erfahrungen geteilt. Es kommt immer mehr Klarheit in die Vergangenheit der Leuchte. So hat mir zum Beispiel Jörg geschrieben:
„Ich sammele seit vielen Jahren Feuerhand Laternen und erforsche auch die Geschichte der Firma Nier. In den Verkaufsunterlagen, die mir zugänglich sind wurden Feuerhand Laternen der Typen 201, 275 und 175 an die Wehrmacht verkauft. Die Atom kam nur bei der sogenannten MSKo Ausführung zum Einsatz. Alle anderen Atom Ausführungen wurden im zivilen Bereich verkauft. Das Feldgrün, mit dem die meisten dieser Laternen lackiert sind hat nichts mit der Wehrmacht zu tun!!! Verzinnen wurde ca. Mitte 1939 verboten und man musste sich mit den Farben begnügen die man mittels Bezugschein bekam. Da gab es nur zwei Farbtöne: Feldgrau und Schwarz.“
Ich habe mich also vermutlich geirrt. Das Spannende an diesem Irrtum ist, dass ich froh darüber bin. Denn nur so wurde mir bewusst, dass der Wert der Lampe für mich nicht davon abhängt, wofür sie eingesetzt worden ist. Sie darf leuchten, einfach weil sie eine Lampe ist.
Jetzt mag ich sie noch lieber 😉
Hallo,
zur der Geschichte über die kleine Atom bin ich über das Pelam-Forum gekommen.
Eine wirklich schöne Geschichte!
Rührend und mit Herz geschrieben.
Ich besitze auch eine solche Lampe, die ich zwar nicht gefunden habe die mir aber sehr am Herzen liegt. Sie darf auch leuchten und ich sehe das jetzt vielleicht mit etwas anderen Augen. 😉
Danke für die schöne schöne Geschichte.
M.O.
Vielen Dank! Es freut mich sehr, dass dir die Geschichte gefällt.