Gesellige Einsamkeit

Als ich ganz allein die Weiten einer Frühlingslandschaft auf mich wirken lasse, beginne ich, wahrzunehmen, dass da durchaus Gesellschaft ist.

Mein Herz ist so weit, wie die Gegend, in der ich spazieren gehe. Angetan von den Bildern des späten Frühlings, beginnt mein Gehirn zu dichten.

Der Wind auf meiner Haut 
die Sonne im Gesicht
Ich bin mit mir vertraut
mehr brauche ich nicht

Wer bin ich, wenn es ruhig um mich ist? Wer bin ich, wenn ich keinen Stress habe? Diese Frage hat sinngemäß eine Referentin in der Mutter-Kind-Freizeit gestellt, in der ich mich gerade noch befinde. Heute ist kinderfreier Nachmittag, eine Gelegenheit das auszuprobieren.

Wer bin ich, wenn es ruhig um mich ist?

Ich finde die Frage überraschend. Bisher habe ich oft solche Sätze gehört wie: “Wer du wirklich bist, erfährst du, wenn du Stress hast.” Mir fällt auf, dass das gar nicht stimmt. Wenn ich Stress habe, zeigt sich nur ein Teil von mir. Und zwar der, der verletzt und unsicher ist. Ich habe ihm viel Zeit und Aufmerksamkeit gewidmet. Mein Stress-Ich war gefräßig und gierig wie ein hungriger Wolf. 

Es hat unter anderem Zeit gefressen, Geduld, Freundlichkeit und Freude. Es war gut hinzuschauen, es ernst zu nehmen. Es war gut, daran zu arbeiten, dass das Stress-Ich weniger Raum einnimmt. Aber so habe ich vor allem meine dunklen Seiten kennen gelernt. Denn unter Stress zeigen sich die eigenen Abgründe in finsterer Unendlichkeit, furchteinflößend und unbezwingbar.

Heute ist aber erstmal Sonnenschein angesagt.

Ich folge dem Aufruf, meinem Ruhe-Ich zuzuhören. Wer bin ich, wenn ich Ruhe habe? 

Ich höre.
Nichts.
Und zwar die gute Art von nichts. 

Da ist nichts, was stört. Nur eine friedliche Präsenz von dem, was mich ausmacht. Alle meine Sinne befördern Gutes aus meiner Umwelt in meinen Geist. Der Wind wird zum Glück, die Geräusche verschmelzen zu Harmonie. Die Krümel, die aus dem Baum über mir bröseln, stören mich nicht. Sie gehören zum Großen Ganzen, genau wie ich. Ich gehöre hier hin. In diesem Moment bin ich hier und ich bin umgeben von Frühling. Ehrfurcht erfüllt mich, weil Göttliches in diese Szene dringt:

Ich bin hier nicht allein.

Das Gefühl breitet sich aus, wird zur Gewissheit. Da ist ein Künstler, der mich in seinem Bild haben wollte und mich genau in diese Szene gesetzt hat, hier auf die Bank am Feldrand. Ich muss lächeln: Wer bin ich, wenn ich Ruhe habe? Ich bin dankbar für diese Frage. Ich bin so viel mehr, als meine Probleme, mehr als meine Schwächen und mehr als meine Vergangenheit.

Ich bin hier und jetzt. Geschaffen, um Schönes wahrzunehmen und wiederzugeben!
Das bin ich übrigens auch, wenn ich im Stress bin. Ich musste es aber in Ruhe spüren, um es zu verstehen. In diesem Moment der geselligen Einsamkeit nur zusammen mit mir.

Der Weg auf den Berg lohnt sich: Wer an der Orchideenzucht in Lemförde vorbei weiter hoch geht, wird mit einer fantastischen Aussicht über Wiesen und Felder belohnt.

Gesellige Einsamkeit


Der Wind auf meiner Haut
die Sonne im Gesicht
Ich bin mit mir vertraut
mehr brauche ich nicht

Ich kann die Weite sehn und fühlen
Du gibst mir zweckfrei Sinn
Hier kann ich meine Sehnsucht stillen
Gott danke, dass ich bin

(c) Ramona Eibach, www.funkelflocke.de

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