Schon mit Stress im Kopf wache ich auf. Angst lähmt mich. Heute steht ein schwieriger Schritt bevor, ich muss jemanden anrufen, etwas Unangenehmes gestehen. Ein Himmelzeichen hilft mir später, diesen Schritt zu tun.
Ich will den Anruf schnell hinter mich bringen. Mit dem Stress im Nacken bin ich ungeduldig, dränge meinen Jüngsten zur Eile. Es gibt Streit. In der Kita verkündet er ein verächtliches: „Ich hasse dich!“. Ich gebe ihm einen wortlosen Kuss und verlasse mit Tränen in den Augen die Eirichtung. Eigentlich hat der Junge nur gesagt, was ich selbst gerade spüre: Ich hasse mich zwar nicht, aber ich bin gehörig sauer auf mich. Jetzt spreche ich am besten mit niemandem. Mein Fluchtreflex lässt mich ins Auto einsteigen. Oben, an den Wipfeln der wenigen Fichten, die der Borkenkäfer verschont hat, glitzert der Reif in der Sonne. Genau das brauche ich jetzt zum Runterkommen: Die Schönheit der Natur. Ich fahre der Sonne nach und sehe, dass ihr Schein nur bis zum Friedhof durchkommt. Davor hängt eine dicke Nebelwolke in der Luft. Ich stelle das Auto im Nebel ab und laufe dem Licht entgegen. Dabei liegen das Erlebnis des Morgens und das bevorstehende Geständnis wie Steine in meinem Bauch. Ich schleppe mich ins Helle, zermartere mir das Hirn, das „Ich hasse dich!“ meines Sohnes noch in den Ohren.
Umarmung aus Licht
Da sehe ich etwas rieseln. Die Luft hängt voller Glitzer. Kleine gefrorene Wasserpartikel rieseln aus der Nebelwolke zu Boden, angestrahlt von der Sonne.
Ich bin wie vom Donner gerührt. Direkt über dem Friedhof bahnt sich die Sonne einen Weg durch den Nebel. Ihr Lichtstrahl formt ein angedeutetes Kreuz aus Glitzer. Rechts und links davon stehen kleine Regebogen, als wollten sie die Szene umarmen. Ich kann die Umarmung spüren. Mächtig steht sie über dem Friedhof, unbeeindruckt von den Grabmälern, die das Ende des Lebens markieren. Ich stehe bestimmt 20 Minuten lang in der feuchten Kälte, dann löst sich das Phänomen langsam auf. Mit ihm verblassen die Worte meines Sohnes vom Morgen. Mit frisch aufgeladener Seelenbatterie fahre ich nachdenklich zurück nach Hause. Ich greife den Hörer und erledige, was sein muss.
Erst viel später verstehe ich die Symbolkraft des Erlebten. Ich scrolle wie gebannt durch die Fotos. Dann finde ich ein Gedicht, das ich ein paar Tage vorher begonnen habe. Es passt genau. Es heißt: „Himmelszeichen“. Was ich an dem Morgen beobachtet habe, war mehr als ein seltenes Wetterphänomen. Es war ein Himmelszeichen. Für mich klar vernehmbar ein Akt der Liebe Gottes. Ich konnte förmlich spüren, wie seine Umarmung, das „Ich hasse dich!“ in meinem Kopf aufgelöst hat.
Himmelszeichen
Winzig klein
Zerbrechlich im Anfang
Ein Flackern
Ein Hauch
Erwacht zum Moment
Mit der Kraft eines Tornados
Rüttelt mich die Gegenwart durch
Dann weiß ich wieder
Dass deine Arme
Ausgebreitet sind
Ich kann zurück
Den Moment genießen
Das Leben spüren
Atmen
Fühlen
Sein
(c) Ramona Eibach, www.funkelflocke.de