Ich schreibe nicht über Weihnachten

Der erste Satz ist ein Problem. Er schmeißt sich vor mich und stellt mir ein Bein: „Wie schön, dass bald wieder Weihnachten ist.“ Bis gerade konnte ich platzen vor Freude: zwei Tage Geschenkeauspacken und ich bin mittendrin! Ich fühlte mich wie ein Kind an Weihnachten, bis genau dieses Wort unerbittlich seinen Weg in meine heile Welt findet.

Ein Schreibseminar, zwei Tage in der Welt in Textzeilen eintauchen, das war der Plan. Und jetzt kommt Weihnachten dazwischen.
„Wie schön, dass bald wieder Weihnachten ist“. So soll der erste Satz unserer Flow-Übung lauten. Noch schöner, dass ich darüber gar nicht schreiben muss, denn wir dürfen das Thema während des Textens wechseln. Wie soll ich da in Flow kommen? Es ist Anfang Oktober und ich habe schon die Nase voll, wenn ich im Supermarkt an den Festtagssüßigkeiten vorbei muss. Der Weihnachtshype wird mich aber nicht am Schreiben hindern, da muss schon mehr kommen. Also tippe ich den Satz und lasse meine Assoziationen dazu kommen: Stress, Arbeit, Dunkelheit. Drei Kinder, die jeden Tag fragen: „Wann ist endlich Weihnachten? Wann gibt es Geschenke?“ Ich werde noch wann-sinnig. Meine Nerven streiken. Gedanken an Geschwisterstreit beim Geschenkeaufpacken piksen mich wie der Tannenbaum. Das ganze Harmoniegedöns hat wirklich nichts mit der Geburt eines Kindes zu tun: Flutsch, im Stall geboren, eingewickelt in ne Krippe gelegt. Wer sich sowas ausdenkt, hat noch nie bei eine Geburt gesehen. Ich war bei drei dabei. Ich erspare euch die Details, aber so viel kann ich verraten: Es war schmerzhaft und ziemlich unerbittlich. Du kannst nicht zurück, du kannst es nicht verhindern. Und dann ist da plötzlich dieses hilflose schreiende Bündel in deinem Arm. Ich bin geneigt zu glauben, dass dieser Moment durch die simple Tatsache harmonisiert wird, dass der quälende Schmerz auf einen Schlag vorbei ist. Ich denke an das Kind in der Krippe und ich will es in den Arm nehmen und vor den Blicken der neugierigen Besucher schützen. Ob Jesus wohl ahnte, was ihm bevorstand?

Gedanken an Geschwisterstreit beim Geschenkeaufpacken piksen mich wie der Tannenbaum

Festtagsproblem auf dem Silbertablett

Moment mal, schreibe ich gerade über Weihnachten? Nein, natürlich nicht. Ich erkläre nur, warum ich es nicht tue. Gestern habe ich es auch nicht getan. Stattdessen habe ich all das in meinen Computer gehackt, was meinen wirren Kopf beschäftigte. Weihnachten habe ich schnell wieder verdrängt. Ich schreibe nicht über Weihnachten. Basta. Vielleicht irgendwann wieder. Gestern nicht und heute nicht. Ich habe in meinem Leben so viele Weihnachtssendungen im Radio gemacht, das Thema ist für mich durch.

Rechtfertige ich mich jetzt etwa dafür, dass ich nicht über das Fest schreibe? Das muss ich nicht, schließlich ist noch nicht Advent. Trotzdem scheint mein Kopf im Gefühlsdezember angekommen zu sein. Was fällt dieser bösartigen Schreibübung ein, mir mein Festtagsproblem auf dem Silbertablett zu servieren? Unbemerkt durch die Hintertür? So muss es gewesen sein, denn heute ärgere mich darüber, dass mich Weihnachten nervt. Dieses Fest weckt eine Sehnsucht, die offenbar so stark ist, dass ich hier sitze und schreibe. Was ich verheimliche: Neben mir stehen eine Tasse Weihnachtstee und Spekulatius aus den Niederlanden. Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos. Ich bleibe dabei: Ich muss mich nicht für etwas rechtfertigen, worüber ich nicht schreibe.

Anfang einer Weihnachtsgeschichte

Ich möchte mir selbst auf die Schliche kommen. Ich möchte etwas ändern. Das Schicksal scheint das manchmal zu ahnen. Denn gestern passierten etwa dreieinhalb Stunden nach der Schreibübung zwei Dinge, die mir Hoffnung machen: Als ich gefragt wurde, ob ich für ein Buch eine Weihnachtsgeschichte schreiben würde, sagte ich spontan: „Ja!“.
Kein Wunder also, dass ich bei der nächsten Kreativübung schon den Anfang einer Story verfasst habe, die weihnachtlich enden könnte. Das Fest hat mich eingeholt, obwohl ich noch kein Wort darüber geschrieben habe.

(c) Ramona Eibach, www.funkelflocke.de

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