Wenn die Blase drückt, kann es manche Überraschung geben. In meinem Fall findet sich eine positive: Ein Irrgarten auf dem Weg zur Toilette. Zum Glück kann ich daran vorbei laufen. Der Weg zur Erleichterung ist barrierefrei. Wir haben uns ein paar Tage frei genommen und besuchen heute unter anderem den Weleda Garten in Schwäbisch Gmünd. Was ich gerade entdeckt habe, ist das Lavendel-Labyrinth. Auf dem Rückweg zu meiner Familie lese ich im Vorbeiflitzen den ersten Satz auf einem Schild (sinngemäß): „Was hat ein Labyrinth mit dem Leben zu tun?“ Meine Neugierde ist geweckt.
Mein Mann hat eine bequeme Ruhebank bezogen, während unsere Kinder auf einer Rutschbahn mit Klettergelegenheit spielen. Fabelhaft! Ich kann also guten Gewissens ein paar Minuten weg bleiben.Ich sage kurz Bescheid und flitze zurück zum Lavendel-Labyrinth. Meine Tochter hopst hinter mir her. So kommt es, dass ich das Labyrinth in Gesellschaft betrete.
Der Irrgarten ist niedrig und übersichtlich. Ich rechne also mit einem leichten Spiel. Aber schon nach wenigen Biegungen stehe ich in einer Sackgasse. In der Mitte des Gartens stehen ein Baum und eine Steinbank. Meine Tochter winkt mir von dort aus zu. „Das ist pupseinfach, Mama!“ Zielsicher steuere in den nächsten Busch. Der Lavendel duftet auch ohne Blüten noch. Trotzdem merke ich, dass es in mir unangenehm anfängt zu pieken. Wie macht die das so schnell? Ich wurschtele mich durch von Hecke zu Hecke. Halte Ausschau, verlaufe mich, drehe um. Das Labyrinth sah doch gar nicht so groß aus! Die Zeit läuft mir so langsam davon. Also setzte ich kleinere Ziele: Ich will es wenigstens bis zur Mitte schaffen. Aus dem Augenwinkel offenbart sich das Geheimnis meiner Tochter: Ich sehe, wie sie quietschvernügt über die Büsche springt.
Ich treffe eine Entscheidung: „Ich werde nicht pfuschen!“ Und als ich endlich im Zentrum ankomme, bin ich sicher: Das ist mein kleiner persönlicher Irrgarten-Sieg. Leider müssen wir schnell zum Essen aufbrechen. So entscheide ich mich für einen kurzen Hürdenlauf und lasse das Labyrinth hinter mir. In mir arbeitet es allerdings weiter. „Was hat ein Labyrinth mit meinem Leben zu tun?“
Och nö, nicht schon wieder über so etwas nachdenken. Ich schiebe die Frage in meine geistige Abstellkammer. Aber seitdem drängt sie immer wieder mit Macht in meinen Wohlfühlbereich. Es entstehen Gedanken. Gedichtzeilen. Auf der Rückfahrt nach Hause tippe ich die ersten Zeilen in mein Handy. Resigniert gebe ich auf. Die Worte klemmen. Abends holt mich das Thema wieder ein. In dem Buch „Schuldig“ vom gescheiterten Top Manager Thomas Middelhoff lese ich über Tugenden. Wieder entstehen Reime.
Heute haben die Worte den Irrgarten meines Hirns verlassen und sind zum Labyrinth in Zeilen geworden. Einige Tugenden bilden dabei eine Brücke.
Labyrinth
Unter Füßen knirscht der Stein
Schweiß tropft von der Stirn
Windungen wabern im Hirn
Kann der Weg hier richtig sein
In meinen Augen grelles Licht
Sonne hat den höchsten Stand
Da steh ich plötzlich vor der Wand
Erreich das Ziel schon wieder nicht
Das Leben ist ein Labyrinth
Ich knalle gegen Wände
Unübersichtliches Gelände
Weiß nicht,ob ich den Ausgang find
Geh ich rechts oder geh ich links
Oder besser ganz zurück
Ich spür mit jedem Stück
Kein Bock mehr auf das Rate-Dings
Ich frage ihn und frage sie
Drehe kreuz, quer, einmal rum
Vor Schwindel falle ich fast um
So finde ich den Weg doch nie!
Das Leben ist ein Labyrinth
Ich kann mich leicht verirren
Lass mich von anderen verwirren
Die auch noch auf der Suche sind
Nach Hoffnung kommt das Dickicht doch
Ach, wenn es einfach wäre
Nähm ich ne Heckenschere
Und schnitte in das Biest ein Loch
Ich strecke mich, richte mich auf
Konzentriere mich aufs Gehen
Ich kann den Himmel sehen
Die Sackgasse nehm ich in Kauf
Das Leben ist ein Labyrinth
Ich fasse wieder Mut
Die neue Richtung tut mir gut
Gespannt, was mir die Zukunft bringt
Ich stolper über alte Zeiten
Falle in die Hecke
An der nächsten Ecke
Gibt es neue Möglichkeiten
Ich wage neue Schritte
Kehr um von falschen Wegen
Hole mir den Segen
Auf dem Weg zur Mitte
Das Leben ist ein Labyrinth
Läuft es dumm
Dreh ich wieder um
So lang bis ich das Zentrum find
Mir kommt es vor wie im Traum
In meinen Gedankenhecken
Konnte sich die Lösung verstecken
Ich laufe in den offnen Raum
Ich bin vom Laufen geschunden
Noch lange nicht am Ziel
Doch erreicht hab ich schon viel
Bis hierher hab ich gefunden
Das Leben ist ein Labyrinth
Hinter mir liegt meine Jugend
Für das Alter brauche ich Tugend
Die den Kampf in mir gewinnt
Klugheit lässt den Weg mich sehen
Mut lässt mich die Schritte gehen
Tapferkeit bringt mich voran
wenn ich vor Schmerz kaum laufen kann
Mässigung macht mich still
wenn ich zu viel auf einmal will
Möchte ich am liebsten fliehn
hält mich meine Disziplin
Das Leben ist ein Labyrinth
Mittendrin ruh ich mich aus
Muss aus den alten Schuhen raus
Barfuß tanzt das Glückskind
Im Irrgarten hörst du mich singen
Auch wenn mich noch Gebüsch begrenzt
Seh ich wie die Freiheit glänzt
Meine Seele kann über Hecken springen
Ich darf noch bis ans Ende gehen
Kein Weg ist vergebens
Im Labyrinth des Lebens
Das Ziel kann ich jetzt schon sehen
Das Leben ist ein Labyrinth
Gott hat es mir gegeben
Ich darf den Ausweg leben
Weil mein Herz mich zum Ausgang bringt
© Ramona Eibach, www.funkelflocke.de