Der Trekkingrucksack steht fertig gepackt im Schlafzimmer. Mit schmerzendem Rücken und Tränen in den Augen räume ich ihn aus. Ich kann nicht fassen, dass ich das gemacht habe. Ich habe eine Dienstreise nach Tansania abgesagt! Ich zweifle an meinem Verstand und an mir selbst.
Ich denke, es war richtig. Lange Flugreisen und Nächte auf dem Flughafen mit lädierten Bandscheiben sind keine Kleinigkeit. Ich habe leider erst weniger als eine Woche vor der geplanten Reise die Diagnose erhalten: Bandscheibenvorfall in der Lendenwirbelsäule. Parallel zur Einschulung. Das Bein kribbelte leise vor sich hin, in meinem Kopf stritten Durchhalteparolen, Planungen und Ängste um die Wette. Mein Kopf war zu voll, um selbst eine Entscheidung zu treffen.
Also fragte ich Außenstehende. Sowohl Ärzte, als auch Kollegen und Freunde machten mir Mut zu fliegen. Rein technisch ist auch zweifellos richtig, dass ich es gekonnt hätte.
Mein Handgepäck füllte sich mit Schmerzmitteln und ein Physiotherapeut zeigte mir auf privater Basis noch Übungen, die helfen können. Doch, wenn ich zur Ruhe kam, meldete sich mein Verstand. Er sagte: “Du weißt, dass es nicht geht.” Immer, wenn ich seine Stimme hörte, wurde ich seltsam ruhig. Sie flüsterte: „Nein!“ Ich war aber nicht offen für die Botschaft. Also packte ich weiter. Dabei versuchte ich zu ignorieren, dass es sich falsch anfühlte. Ich betete um Ruhe und Klarheit – natürlich in der festen Überzeugung, dass am Ende mit Frieden reisen würde.
Gebetserhörung mit Überraschung
Der Orthopäde hatte donnerstags gesagt: Wenn die Schmerzen über’s Wochenende zunehmen, lassen Sie sich Montag krank schreiben und bleiben hier.” Am Donnerstag war es nur das linke Bein und der untere Rücken gewesen, jetzt war auch das linke Bein und die Schmerzen strahlten auch in den mittleren Rückenbereich aus. Ich ging also schweren Herzens zum Hausarzt. Er verschrieb mir daraufhin ein stärkeres Schmerzmittel. Und machte mir Mut. Für meinen Befund geht es mir schließlich gut.
Ich hätte reisen können. Ich weiß das. Aber es ging trotzdem nicht. Ein stechender Schmerz auf der Treppe zu Hause machte mir das klar. Ich rief die Kollegen an, mit denen ich fliegen wollte und fragte: “Bist du sehr böse, wenn ich noch absage? Ich finde keinen Frieden.”
Innerhalb von einer Stunde lag die Krankmeldung vor, mein Teamleiter war informiert und der Flug storniert. Und in mir? Traurigkeit, Rückenschmerzen und endlich Ruhe.
Traurigkeit, Ruhe und Rückenschmerzen
Diese drei Gefühle begleiten mich jetzt seit einer Woche. Ich habe oft gedacht, wie es den anderen in Tansania gerade geht, was sie machen.
Die Schmerzen nehmen zu und ab. Auch die Hilflosigkeit. Ich habe die Zeit hier genutzt: Spaziergänge, leichter Sport, Übungen zur Entlastung, Begegnungen, die gut tun und Dinge erledigen, die liegen geblieben sind. Ich konnte die Zeit mit den Kindern genießen, sie neu entdecken und staunen, wie liebevoll sie trösten können.
Die Sache hat mich trotzdem verunsichert. Ich erinnere mich an die unbändige Freude auf diese Reise. In diesen Tagen ist ein Meilenstein gelegt worden, die Rangi, eine tansanische Volksgruppe bekommen einen Teil, der Bibel in ihrer Sprache. Ich wollte das so gerne miterleben.
Ich suche immer noch überall nach der Bestätigung, dass es richtig war, eine solche Reise, eine einmalige Chance, etwas, um das ich gekämpft hatte, aufzugeben, zwei Menschen, die ich gerne mag, die sich auf die Reise mit mir gefreut hatten, in letzter Minute alleine reisen zu lassen. Ich bin ein Mensch, der Entscheidungen trifft und dann danach handelt. Bis jetzt war ich zumindest so. Bin ich noch ich? Kann ich mir noch vertrauen? Und werde ich mich jemals wieder trauen, eine große Reise zu wagen? Wo ist die Abenteurerin in mir? Die, die sich im letzten Jahr in Äthiopien so wohl gefühlt hat? Die Antwort ist klar: Sie hat eine gesundheitliche Einschränkung.
Hier geht derweil alles seinen normalen verrückten Gang: Wie immer kurz nach der Einschulung häufen sich Nachrichten aus der Schule und die Bitte um Besorgungen. Kinder müssen betreut werden, erste Hausaufgaben absolviert.
Lebensmittelmotten, Kind verletzt, Arztbesuche, dazu Rückenschmerzen. Als hätte ich nie gepackt, als wäre ich nie krank geworden.
Was kann ich von einer Reise lernen, die ich nie angetreten habe?
Dass ich manches perfekt vorbereiten kann, mich darauf freuen kann und es trotzdem gerade nicht sinnvoll ist.
Dass der Mensch Begrenzungen hat, die kein Flugzeug überwinden kann.
Dass es Phasen gibt, in denen manches nicht geht, was ich sonst gemacht habe.
Dass ich nicht absehen kann, was mein Leben morgen macht.
Dass ich den größten Unterschied in meiner Familie machen kann.
Das Nein in mir ist erwachsen geworden. Es hat mich gehalten. Es hat mich nicht dem Abgrund überlassen. Es hat mir die Kraft gegeben, jetzt nach Möglichkeiten zu suchen, wie ich mein Leben umstrukturieren kann. Das Nein in mir schenkte mir Frieden. So wurde es zum Ja. Ich akzeptiere, dass ich schwach bin. Ich freue mich, dass ich ein Zuhause habe.
Ich freue mich über Momente hier zu Hause. Ich bin dankbar für medizinische Versorgung. ich freue mich, dass es mir den Umständen entsprechend gut geht. Und ich danke Gott für Menschen, die mir Mut machen und für ein Gebet, das innere Ruhe gebracht hat.
(c) Ramona Eibach, www.funkelflocke.de
Du hast auf dich , auf dein Nein gehört. Dieses Nein kommt nicht nur von dir, es wurde dir gegeben. Du hast dafür gebetet ohne es zu wissen ?!
Du bist so unfassbar stark nein zu sagen… 💪🏻
Danke, für das teilen 🥰
Gute Besserung ❤️🩹
LG Anja
Hallo Anja, manchmal ist die Antwort eine andere, die ich erhofft habe. Aber das ist das „Risiko“, wenn man Fragen stellt.😊
Liebe Ramona!
Deine Worte haben mich fast zu Tränen berührt. Vieles kann gut nachvollziehen …besonders die inneren Gespräche…die Grenzen, die sich in so einer Situation zeigen… wunderschön geschrieben…. vielleicht sollte ich meine Gedanken ( für mich) auch aufschreiben …
Hallo Katja,
danke für deine Offenheit.
ehrlich gesagt hat der Blog für mich so angefangen. Ich habe Sachen aufgeschrieben, um den Kopf frei zu kriegen. Und dann sind daraus Texte entstanden. Vielleicht ist es was für dich. Mir hilft das immer.
Liebe Grüße
Liebe Mona, ich freue mich, dass du Frieden gefunden hast über dem Nein, dem Verlust. Seine Grenzen zu akzeptieren ist oft nicht leicht, aber vielleicht wirst du diese Grenze bald wieder überschreiten können und wiedermal erfahren Life is live…und du bist nicht alleine. Teilen tut gut. Dankeschön. LG Mama
Danke! Ich habe mich sehr über deine lieben Worte gefreut.
Hi liebe Ramona, ich bin begeistert, welche Entwicklung du genommen hast. Habe dein Plakat gesehen und bin jetzt auf der Homepage gelandet. Super Bilder malst du und deine Art zu schreiben, trifft das Herz – authentisch und Wirklichkeitsnah. Vielen Dank. Liebe Grüße Karin
Danke dir! Ich freue mich sehr über deine Rückmeldung.