Rettungsaktion auf der Rastplatz-Toilette
Rettungsaktion auf der Rastplatz-Toilette

Rettungsaktion auf der Rastplatz-Toilette

Normalerweise ist meine Tochter immer blitzschnell fertig. Diesmal offenbar nicht. Ich warte vor der Kabinentür der Autobahntoilette und lausche. Kein Klopapier, keine Spülung. Nur  “klick, klick, klick”. Ich rufe sie: “Alles in Ordnung?” – “Ich komm nicht raus! Der Riegel klemmt!”

Von Rittern und Müttern

Innerhalb eines halben Atemzugs befinde ich mich mitten im Alptraum einer Mutter. Das Kind steckt fest in einer Rastplatz-Toilettenkabine! Massive Metallwände, Metalltür. „Cool bleiben, Ramona!“, sage ich mir selbst. Ich schnappe meine Geldbörse. 50 Cent in den Schlitz der Verriegelung und drehen. Es tut sich wirklich überhaupt nichts. Drinnen versucht meine Tochter weiter ihr Glück. Doch das “Klick, klick, klick” klingt hoffnungsloser als eben. 

Nächste Alarmstufe. Ich rufe meinen Mann. Er – Ritter auf unsichtbarem Pferd – in der Damentoilette, zückt das Universalwerkzeug an seinem Schlüsselbund. Tatsächlich. Das Schloss dreht sich. Aber leider nur auf unserer Seite. Die Tür gibt das Kind nicht frei. 

Wir entscheiden uns für Stufe 3: Unsere Tochter muss über die Kabinentür! Sie klettert normalerweise wie ein Affe. Aber der Sichtschutz ist zu hoch. Sie bekommt kein Packende. Dirk sucht nach einer Stufe, um unser Kind von außen hochziehen zu können. All meine Hinweise auf das stabile Edelstahlwaschbecken versteht er nicht. Er rennt zum Auto, kehrt mit einem Koffer zurück. 

“Hilfe, der will sich doch nicht wirklich da draufstellen?”, huscht es mir durch den Kopf und ich höre mich sagen: “Der Koffer ist Schrott, wenn du dich da drauf stellst”. In dem Moment sieht er das Waschbecken: “Das könnte gehen!” Ich verkneife mir einen blöden Kommentar. Das hier ist schließlich ernst!

Inzwischen fiebern schon zwei Damen mit. Eine – offenbar Rastplatz-erfahren – mit Küchenrolle und Desinfektionsmittel bewaffnet. Dirk steht inzwischen auf dem Waschbecken, streckt die Hände über die Wand, und gibt einen Laut von sich, der zeigt, dass er heftig arbeiten muss, obwohl unsere Tochter ein Leichtgewicht ist.

Sekunden später krabbelt sie über die Wand. Mit ihrem Oberkörper hat sie unfreiwillig Staub und Dreck von dort weg gewischt, wo noch nie jemand geputzt haben kann. Aber sie ist ganz und in einem Stück. Sie wäscht sich am Waschbecken, auf dem eben noch mein Mann stand. Die Zuschauerin hilft mit Desinfektionsmittel und Küchentüchern aus, sodass wir uns alle etwas “entekeln” können und das Kind entstauben. Erstmal durchatmen. Bis gerade hatte ich gar keine Zeit zum Denken. Noch nie war ich so dankbar, dass unsere Tochter so leicht und beweglich ist!

Rettung in der Rückschau


Im Auto sprechen wir über die Situation. Mein Mann gesteht mir, dass er Sorge hatte, wir müssten die Feuerwehr rufen. Und wir lachen, weil er zuerst dachte, die Dame mit der hygienischen Vollausstattung sei eine Reinigungskraft gewesen. Das Schöne an dieser Rastplatzaktion ist, dass keine mehr die defekte Türe versehentlich öffnen kann. So wird sich keine einsperren, die dann vielleicht keinen Papa dabei hat, der sie retten kann.

Ich denke noch länger nach. Der Urlaub hat schon mit einer Verletzung angefangen. Unser mittlerer Sohn hat sich bei einem Zwischenstopp auf der Hinfahrt den Fuß angeknackst. Wir haben schon am ersten Tag die Notaufnahme in Eutin “besichtigt”. Wir haben zweimal eine Kinderärztin aufsuchen müssen. Wir waren alle angeschlagen von Stress und gesundheitlichen Einschränkungen. Es gab Streit, schlechtes Wetter, aber auch alles Erdenkliche Gute, das man im Urlaub haben kann: Strand, Sonne, Eis, Abenteuer.

Und dann eine Rettungsaktion am Schluss auf einem Rastplatz in der Nähe von Osnabrück. Ich beginne zu verstehen, dass Familie immer mit Zwischenfällen und Rettungsaktionen zu tun hat. Kinder retten steht auf der alltäglichen To Do Liste von Eltern. Aus dieser Perspektive finde ich es selbstverständlich, meinen Kindern zur Hilfe zu kommen. Nie werde ich das glückliche Gesicht meiner staubigen Tochter vergessen, als sie ihrem Verlies entkommen ist.

Was ich allerdings oft vergesse: Ich selbst habe schon viele scheinbar ausweglose Situationen erlebt. Ich erinnere mich nicht an jede und auch nicht daran, wie ich sie überwunden habe. Aber ich bin ihnen definitiv entkommen, sonst wäre ich heute nicht hier. Ich möchte öfter innehalten. Die Hürden des vergangenen Tages feiern. Ein paar Zeilen schreiben. Ein Dankgebet sprechen. Ich glaube, das ist der Schlüssel zu mancher verschlossenen Tür.

(c) Ramona Eibach, www.funkelflocke.de

(Anmerkung: Das Titelbild habe ich später noch auf einem anderen Rastplatz gemacht. Während der Rettungsaktion ist mir das nicht in den Sinn gekommen.)

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