Wachstum und Würde: Rückblick 2024

2024 ist für mich ein Jahr des Wachstums und der Würde gewesen. Hier einige Beispiele wie mir in besonderer Weise Menschenwürde zugestanden worden ist.

Mein Grundgefühl 2024

Wenn ich darüber nachdenke, wie sich das Jahr angefühlt hat, dann spüre ich Stress, Angst, Scham und Hilflosigkeit auf der negativen Seite. Auf der positiven Seite sind es Wertschätzung und Stolz. Genau da, wo es wehtut, steckt bei mir oft das Potenzial. Diese Erkenntnis nehme ich vorweg. 
Ich habe mich lange hinter der Scham verkrümelt. In diesem Jahr konnte ich sie mehrfach ablegen und mich zeigen.

Die Würde, einen Meistergrad zu erlangen 

Man soll seinen Vorsätzen treu bleiben. Ich bin froh, dass ich gegen diese “Regel” verstoßen habe. Ich hatte mir geschworen, nie mehr eine Schwarzgurtprüfung zu machen. So sehr ich den Judosport liebe, das wollte ich nicht mehr.

Die erste Prüfung habe ich zweimal nicht bestanden. Beim ersten Mal war es gerechtfertigt, beim zweiten Mal hatte laut Prüfer meine “nicht so sportliche Figur” maßgeblich zum Misserfolg beigetragen. Das war im Jahr 2006. Ich konnte mein Können dann bei einem Lehrgang unter Beweis stellen und trage seitdem schwarz zum Judoanzug. Dabei sollte es bleiben. Keine weiteren Prüfungen mehr. Das war 18 Jahre lang meine Überzeugung. 

Anfang des Jahres startete in meinem Judoverein ein Prüfungsvorbereitungskurs mit Ausbildern, denen unser Verein besonders am Herzen lag. Eine davon ist mehrfache Weltmeisterin in einer der Prüfungskategorien. Als ich von anderen Teilnehmern gefragt wurde, ob ich nochmal bei einer Prüfung mitmache, war meine erste Reaktion: „Nein!“
Zwei Tage später sagte ich zu. 

Das Ergebnis: Ich habe bestanden. Aber das ist nicht das Wichtigste. Für mich ist das Wichtigste, dass ich die Chance genutzt habe, mich zu entwickeln. Ich habe tolle Menschen kennengelernt, habe sehr viel wiederholt und bin in den Verein hineingewachsen. Ich durfte mir von Menschen, die Ahnung haben, bescheinigen lassen, dass ich eine wirklich gute Prüfung gemacht habe. Und ich durfte erleben, dass diese Menschen bei meiner Prüfung zugeschaut haben. Zuerst wollte ich das nicht. Aber als ich verstanden habe, dass es nicht um Kritik ging, sondern darum, den Fortschritt zu feiern, fühlte es sich verdammt gut an. 

Mein Trainingspartner entschied sich, seine eigene Prüfung später zu machen. Trotzdem stand er mir zur Verfügung. Vieles habe ich von ihm gelernt. Auch das ist etwas, das mich sehr gerührt hat.

Am 15. Juli habe ich die Prüfung zum zweiten Dan im Judo bestanden. 18 Jahre nachdem ich beschlossen hatte, nie wieder eine zu machen.

Es ist, als sei der Fluch gebrochen. Ich muss mich nicht mehr verstecken. 

Die Würde, meine Kunst in der Öffentlichkeit zu zeigen

Nachdem ich im vergangenen Jahr mein erstes und zweites Buch veröffentlicht habe, sollte dieses Jahr ein Kunstjahr werden. Ich habe letztlich den nicht wohlwollenden Ratschlag meines Malereiprofessors aus dem ersten Semester befolgt: Er hatte mir im Wintersemester 1999/2000 geraten, Kunst als Hobby weiterzumachen. Ich habe zum Glück mein Studienfach bis zum Abschluss weiter gemacht, aber eben in Bilhauerei und Fotografie. Den Pflichtanteil in Malerei absolvierte ich zähneknirschend bei einem anderen Professor. Jahrelang hatte ich gedacht, ich könne nicht malen.
Bis ich im Jahr 2021 einen Online Portrait Kurs mitmachte. Seitdem male ich alles, was mir in den Sinn kommt. Die Proportionen stimmen nicht immer und oft führen Unfälle auf der Leinwand zu dem, was das Bild besonders macht. Aber ich weiß inzwischen: Ich kann malen. 

Im August 2023 habe ich mir spontan ein Herz gefasst, die Kulturbeauftragte unserer Gemeinde zu fragen, ob ich in der Römergalerie des Kulturbüros ausstellen dürfe. So kam es, dass ich im November 2024 meine erste Ausstellung hatte. Ich habe meine Bilder gezeigt. Menschen waren berührt und haben mich angesprochen. Für mich war das ein Meilenstein. Die Heilung einer alten Wunde. 

Mit Schürze und Farbe vor dem Plakat zu meiner Ausstellung.

Die Würde, schwach sein zu dürfen 

2024 war auch das Jahr, in dem ich schwere Rückschläge erlebt habe. Ein Bandscheibenvorfall in der Lendenwirbelsäule führte dazu, dass ich eine Dienstreise nach Tansania absagen musste. Eine einmalige Chance ging dahin.

Zudem musste ich zwei Monate nach der Gürtelprüfung meine Lieblingssportarten Judo und Capoeira auf unbestimmte Zeit pausieren.

Ich begann etwas genervt mit Physiotherapie und Training im Fitness Studio. Ich mag keine Muckibuden und ich finde Gerätetraining öde. Dachte ich. Mittlerweile gehe ich mit großer Freude mehrmals pro Woche ins Studio bei uns im Ort. Ich habe spannende Menschen kennengelernt und ich erlebe mich neu. Ich bin in der Lage, mich im Rahmen meiner Möglichkeiten krass zu steigern. Klar, mir fehlt was. Vor allem Akrobatik, die Interaktion mit Partnern, Rangeln und Raufen und die Kicks und die Dynamik der Capoeira. 
Wieder habe ich etwas getan, das mir nur auf den zweiten Blick entspricht. Dabei ist mein Mut zum Neinsagen gewachsen. 

Im November habe ich genau den gebraucht. Eine Erschöpfungsdepression hat mich lahmgelegt. Meine Trainingsmoral hat mich bei der Stange gehalten. Ich war krank geschrieben und hatte viele nicht besonders erfreuliche Termine. 70 Prozent des Tages habe ich geheult. Jetzt waren es zum großen Teil die Menschen in der Muckibude, die mir halfen, zu lachen. 

Der Sport, der mir angeblich nicht entspricht, war mein Ausgleich, als die Kreativität ausblieb. Das Gefühl, etwas für mich Untypisches zu tun, hat mir geholfen, stolz zu sein. 

Die Würde war immer da

Das sind nur einige Beispiele für Würdenmomente 2024. Alle kann ich nicht nennen, sonst wird das hier ein Buch. 

2024 hat mich krass wachsen lassen. Mit allem, was dazu gehört: Oft war es Wachstumsschmerz, aber oft auch die Erkenntnis, dass ich weiter gekommen bin.

Noch nie habe ich meine Kinder so bewusst wahrnehmen können wie heute.

Ich durfte auch meinen Kindern beim Wachsen zusehen. Noch nie habe ich das so bewusst wahrnehmen können, wie heute.

Ich durfte erleben, dass ein bisschen Glaube oft einen großen Unterschied macht.

Ich musste meine Würde nie zurück erlangen, denn sie war immer da. Sie war nur oft verschüttet. Das ist vielleicht die schönste Erkenntnis. 

Ich habe nicht alle Schwierigkeiten besiegt. Davon bin ich weit entfernt. Aber ich bin so unfassbar dankbar. Dankbar für Menschen, die mich in diesen Zeiten ermutigt haben. Die mir etwas beigebracht haben, mich Meilensteine erreichen ließen, mir zuhörten, mir Erfolg und Freude gönnten, mit mir Blödsinn geredet haben, für mich gebetet haben. Dankbar für meine Familie mit allen Ecken und Kanten, für einen tollen Arbeitgeber, für Unterstützung vom Staat, für Therapeuten und Menschen in Hilfsberufen, für gute Bücher, für Menschen, die authentisch sind, für Kunst und Dichtung, für Sport, Sport, Sport. 

Würde und Wachstum passieren nicht da, wo ich schon gut bin. Sondern da, wo ich bereit bin, mir helfen zu lassen und mich zu zeigen. Auch zu meinen Schwächen zu stehen. Da, wo ich bereit bin, zu vergeben und dem Gegenüber Würde zuzugestehen. 

Danke 2024. in diesem Jahr habe ich zum ersten Mal realisiert, dass ich oft handeln kann, wie der Mensch, der ich gerne sein möchte.

Mit Karten Würde zugestehen

In diesem Jahr habe ich verstanden, dass es für mich Würde bedeutet, meine Dankbarkeit gegenüber anderen zeigen zu dürfen. Das hat mich auf eine Idee gebracht.
Ich habe in 2024 so oft erlebt, dass Menschen mich überrascht haben. Vor Weihnachten habe ich beschlossen, besondere Dankeskarten zu verteilen. Allen, die für mich oder unsere Familie mehr getan hatten als ihr Job wollte ich eine Karte zu schreiben. Es waren so viele, dass ich am Ende einigen eine E-Mail schrieb. Mir fallen immer noch Leute ein, die ich nicht berücksichtigt habe. Es erfüllt mich mit großer Dankbarkeit. So viel über Behörden, Menschen in Hilfsberufen oder Ärzte geschimpft wird: Viele von ihnen sind bereit, unkonventionell zu helfen.

Handeln, wie der Mensch, der ich sein will

Ich wäre nicht ich, wenn ich nicht mehr an mir zweifelte. Manchmal bin ich erschüttert über mich. Es gibt Dinge und Verhaltensweisen an mir, die mich zum Wahnsinn treiben. Ich habe mich ihnen gestellt – mit einem Ergebnis, das so nicht absehbar war. 

Ich habe 2024 zum ersten Mal über mich gestaunt, weil ich mehrfach den Mut gefunden habe, zu handeln, wie der Mensch, der ich sein will. Diesen Mut möchte ich in 2025 ausbauen. 

(c) Ramona Eibach, www.funkelflocke.de
Dieser Beitrag wurde unter anderem durch die Aktion Jahresrückblog 2024 initiiert.

10 Antworten auf „Wachstum und Würde: Rückblick 2024“

  1. Liebe Ramona, was für ein toller Artikel und sowieso ein toller Name für deine Domain.
    Ich wünsche dir weiterhin viel Spaß beim Malen und bei all deinen anderen Projekten.
    Liebe Grüße
    Stephanie

  2. Liebe Ramona, danke für deinen berührenden Rückblick. Schon deine Überschrift „Wachstum und Würde“ hat mich angesprochen – der Claim meiner Webseite heißt „Aufstehen und in Würde strahlen“ und da hat mich natürlich sehr interessiert, wie du den Begriff „Würde“ verwendest. Du hast so wunderbare Beispiele in deinem Rückblick und so schöne Erfolge zu verbuchen. Die Überwindung alter Zuschreibungen und dann strahlst du – bei deiner Gürtelprüfung, bei deiner Ausstellung und voller Präsenz im Zusammensein mit deinen Kindern. Berührt hat mich vor allem deine Aussage, dass deine Würde immer da war, nur verschüttet. Ich wünsche dir für 2025, dass du sie mehr und mehr freilegst, die Scham (diesen fetten Eisenfelsen) in Bröckchen zertrümmerst, sodass sie dir nicht mehr die Sicht auf deine Größe und dein Leuchten versperrt. Herzliche Grüße Sylvia

  3. Liebe Ramona,
    „Kunst und Würde“ hat mich gleich reinlesen lassen in deinen Artikel, der mich sehr berührt hat, weil ich einige Parallelen gefühlt habe. Ich wünsche dir für 2025 viel Kraft und Energie aus deinem Inneren, damit das Schöne, zu was du dich wirklich berufen fühlst mehr Raum bekommen und sich immer wieder
    neu zeigen darf.
    Liebe Grüße
    Regine

  4. Hallo Ramona,
    was für ein emotionaler Rückblick.
    Ich wünsche dir für 2025 viel Kraft und weiter viel Mut, den Menschen zu zeigen, der du bist.
    Liebe Grüße, Susanna

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