Sankt Martin im Home Office

Genervt löse ich meinen Blick vom Bildschirm. Seit Tagen versuche ich einen Artikel zu schreiben. Aber meine Tochter hat einfach andere Bedürfnisse. Die Achtjährige ist krank zu Hause. Dass sie wirklich krank ist, daran besteht spätestens jetzt kein Zweifel mehr. Denn sie sitzt heulend auf dem Fußboden.

Beim Versuch einen Fledermausflügel für eine Laterne auszuschneiden, ist sie gescheitert. Ich versuche, sie zu überhören. Ich bin entschlossen, den Artikel fertig zu schreiben. Schon in der letzten Woche hatten meine Söhne, 4 und 6 Jahre alt, ein paar Tage zu Hause verbracht. Konzentration war nicht möglich. Also habe ich den unfertigen Artikel mit der Bitte um Feedback an meine Kollegin geschickt.

Da klingelt das Telefon. Genau diese Kollegin ruft an. Wir besprechen meinen misslungenes Textstück. „Irgendwie habe ich den roten Faden vermisst. Ich wusste nicht so genau, was du wolltest.“ Ich bin nicht überrascht und dankbar für ihre direkte Rückmeldung. Sie bestätigt nur, was ich mir schon dachte. Das Geheul im Hintergrund ist inzwischen auch auf der anderen Seite hörbar. Tränen und Rotz mischen sich auf Tonkarton. „Mach dir nicht so einen Stress!“ Die besorgten Worte aus dem Hörer dringen auf unerklärliche Weise durch die Geräuschkulisse bis in mein Hirn. 

„Laterne, Laterne, ich mag dich heut nicht gerne…“

5 Minuten später schneide ich vor dem Laptop Fledermausflügel aus und klebe Ohren an. „Laterne, Laterne, ich mag dich heut nicht gerne…“ Ich wünschte ich könnte schreiben, dass es sich gelohnt hat und der Artikel doch noch fertig geworden ist. Nein, ist er nicht. 

Frech und aufdringlich ist diese Laterne durch mein Home Office gegeistert

Auch der nächste Tag war ähnlich anstrengend. Ich war frustriert, weil ich wieder nicht zum Schreiben kam. Die Details habe ich verdrängt. Während einer für Kinder viel zu langen Videokonferenz packte meine Tochter die Langeweile. Sie spazierte singend ins Zimmer, machte mir Hasenohren vor laufender Kamera und pustete in eine Blockflöte. Immerhin hatten die Kollegen Spaß. Der Artikel blieb aber wieder liegen.

Und jetzt, Tage später, denke ich über Sankt Martin nach. Das war doch der Typ, der seinen Mantel zerteilt hat und einen Bettler mit einem Stück davon gerettet hat. „Tja“, denke ich, „der Glückliche wusste nichts von Home Office mit Kindern. Und er ahnte auch nicht, dass sein blödes Fest mich einen Artikel und unzählige Nerven kosten würde.“ 

Sankt Marmatin

Und dann ist es, als lege sich eben dieses Stück Mantel über mein gerade zugegebenermaßen kaltes Herz. Es tut ein bisschen und ich schäme mich. Sankt Martin hat nur das getan, was Eltern jeden Tag tun. Sie würden ihren Mantel jederzeit teilen. Sie teilen ihre Zeit, ihr Geld und wenn es ginge, würden sie sich sogar selbst zerteilen, wenn ihre Kinder Hilfe brauchen. Auch in diesem Sinne ist Sankt Martin ein Fest für die ganze Familie. 

Ich habe zumindest an dem einen verdorbenen Home Office Tag ein Kind glücklich gemacht.  Das tröstet mich jetzt wirklich.  Und ich schreibe es mir für die Zukunft hinter die Ohren und sogar für andere auf den Blog:

Geteilte Zeit ist leider halbe Zeit. Ja. Aber sie wärmt Herzen, wie der Mantel von Sankt Martin den Bettler gewärmt hat. Ich muss es mir für schlechte Zeiten merken. Denn höchstwahrscheinlich werden in den nächsten Wochen noch öfter Kinder krank.

Meine Arbeit muss ich nachholen. Leider konnte ich nicht mit einem fertigen Artikel glänzen. Auch nicht mit Geduld. Aber das, was ich zugegebenermaßen unfreiwillig geteilt habe, hat gereicht, um eine Laterne zu basteln. Hätte Sankt Martin im Home Office arbeiten müssen, hätte er es vermutlich genau so gemacht wie ich. Nur ein bisschen freiwilliger.

(c) Ramona Eibach, www.funkelflocke.de

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