Spitzengespräch

Grübeln ist ein Merkmal des Lebens. Ich tue es, ich kenne andere, die dazu neigen und ich bin mir sicher, dass es auch Rosen tun. Das folgende Gespräch zwischen einer Rose und einer Biene habe ich belauscht und dokumentiert. Ich bin mir nicht sicher, ob ich jedes Wort richtig wiedergebe, oder ob ich es am Ende vielleicht doch nur geträumt oder gedichtet habe. Aber als ich es durchgelesen habe, war ich erstaunt über den Tiefgang des Dialogs.

Spitzengespräch

Die Rose steht in voller Pracht
Grübelt, was sie wertvoll macht
Als im Anflug fragt die Biene:
„Ist’s okay, wenn ich mich bediene?“

Die Rose sagt: „Gerne doch!
Aber eine Frage hab ich noch
Sag, mit deinem Stachel da
Wie kommst du damit klar?

Hast du Angst, dass er mal sticht?“
„Nein,“ sagt die Biene, „hab ich nicht.
Ich halt mich von Gefahren fern
Dann soll das spitze Ding nicht störn

Wie meine Flügel gehört er zu mir 
Warum fragst du? Sag es mir!“
„Scheiße Mann, ich will nur blühn
doch die Dornen kann ich nicht verstehn

Oft hab ich schon Narben gerissen
Jetzt bohren Stacheln in mein Gewissen
Ich kann damit nicht mehr leben
Wünschte, sie würden nicht an mir kleben.“

Sie wünschten, sie würden blühen wie du
aus Neid sagen sie: „Hässliche Stacheln hast du!“

Die Biene sagt:
„Du bist zum Blühen geschaffen, jeden Tag!
Wer hackt die Rose ab
bloß weil sie Stacheln hat?

Sie nehmen euch den Kopf
Stelln ihn in einen Wassertopf
Schneiden euch die Stacheln ab
Und stelln euch auf ein Menschen-Grab

Du bist geboren um schön zu sein
und damit andere zu erfreun
Sie hassen dich nicht wegen der Spitzen
Sie wollen nur deine Schönheit besitzen

Als jemand versuchte sie an sich zu reißen
Da konntest du nur noch um dich beißen
Du hast gestochen, wo es nur ging
Weil daran dein ganzes Leben hing

Nur deshalb kannst du heute blühn
Dem Bienenvolk zur Seite stehn
Schäme dich nicht
Wenn da mal was sticht

Du bist geboren um zu blühen
Damit alle deine Schönheit sehen
Wer dich zu besitzen begehrt
Ist nicht mal den Stich deiner Dornen wert

Wer dir deine Blüte nimmt
Für den sind deine Stacheln bestimmt
Dein Duft verkündet es meilenweit:
Du hast überwunden die schwere Zeit

Lass dir heute die Blüte nicht rauben
Von denen, die sie zu besitzen glauben
Wer begehrte, was du erarbeitet hast
Ich denk, dass du ihn zu Recht gestochen hast

Gott hat dir die Dornen anvertraut
Damit man dich nicht deiner Schönheit beraubt
Stechen sichert dein Überleben
Ich muss für einen Stich mein Leben geben

Auch die Menschen haben Dornen
Sie sind im Inneren hässlich geworden
Sie wünschten, sie würden blühen wie du
Aus Neid sagen sie: ‚Hässliche Stacheln hast du!‘

Sie trennen sie ab und behalten die Blüte
mit amputierten Blumen zeigen sie einander die Liebe
Ach Rose, Menschen sind schwer zu verstehen
Wir Bienen brauchen deinen Nektar zum Leben.“

„Danke Biene, das hilft mir sehr
Ich wäre nicht, wenn die Spitze nicht wär
Ich möchte danken für meine Dornen
Ohne sie hätte ich das Leben verloren

Ich bin stolz auf jedes Blütenblatt
Das meine Dorne behütet hat
Wer mich nur ohne Stacheln nimmt
Für den bin ich einfach nicht bestimmt!“

Die Biene fliegt und trägt den Pollen
Durch den neue Rosen entstehen sollen
Stolz trägt die Rose den Kopf erhoben
Endlich kann sie ihr ganzes Wesen loben

Diese Biene kümmert sich gerade rührend um eine Apfelblüte. Als ich ihr mit dem Makro-Objektiv aufgelauert habe, meinte ich, ihr eine gewisse therapeutische Wirkung abzuspüren. So hoffe ich auf ein Fünkchen Wahrheitsgehalt in der Geschichte.

(c) Ramona Eibach, www.funkelflocke.de

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