Trostpflaster

Mein Mama-Herz will vor dem Anblick dieser Niedlichkeit zerfließen. Wie er dasitzt und sein Leid bekundet, mir die frisch versorgte Wunde entgegenhält. Mein dreijähriger Sohn ist auf dem Rückweg vom Kindergarten gefallen und hat sich das Knie aufgeschlagen. Dieses leidende Kind ist aber so niedlich, dass ich einfach ein Foto machen muss.

Zu diesem Zeitpunkt weiß ich noch nicht, dass dies der Startpunkt einer Bildergeschichte wird. Diese Geschichte erzählt von der heilenden Wirkung von Pflastern aller Art. Ich bin sicher, jede Mutter hat damit schon Erfahrungen gemacht. In diesem Fall habe ich weit mehr als nur Wunden verarztet.

Im Dauerlockdown Winter 2020/21 habe ich einen Portraitkurs gemacht. Jetzt, am Ende des Kurses angekommen, mag ich keine Referenzfoto-Köpfe mehr malen. So scrolle ich ein paar Wochen nach dem Geschehen durch meine Handyfotos. Als ich den niedlichen leidenen Knirps mit seinem frisch versorgten Bein sehe, weiß ich: Das ist das Thema für die Acrylcollage! Als Material suche ich Gemälde des Motivkindes, Einzelsocken, eine alte Hose meiner Tochter als Wickelunterlage, eine ausgediente Kindermaske, die später als Windel dienen soll und natürlich ein Pflaster.

Vom Trostpflaster zum Bärchenpflaster

Ich habe nicht genau gezählt, aber in das Bild, das entstanden ist, habe ich zwischen 14 und 16 Stunden Arbeit investiert. Ich werde belohnt. Die erste Reaktion meines Sohnes ist: „Das bin ich, Mama!“ und „Das ist mein Bild!“. Und dann nach einiger Überlegung: „Kann man das Pflaster auch abreißen? Ich hab doch gar keine Wunde mehr!“ „Nein, kann man nicht!“, denke ich und bin in dem Moment froh, dass ich mit wasserfestem Holzleim gearbeitet habe. Der wird hart wie Beton, wenn er erstmal getrocknet ist. Trotzdem versuche ich es mit Argumenten: „Auf dem Bild bist du doch so traurig, weil du eine Wunde hast. Der traurige Junge braucht das Pflaster noch!“ Punktlandung. Mein Sohn grübelt und sein Gesichtsausdruck gleicht sich zunehmend dem vom Gemälde an. Dann formt sein trauriger Mund einen folgenschweren Satz:

„Da muss noch der Bam rein. Ich brauche den Bam!“ Der Dreijährige schaut auf das Bild und zieht genau dasselbe Gesicht, wie auf dem Acrylportrait, das ihn zeigt. Der Bam ist sein Lieblingsteddy und ich gebe zu, der Junge auf dem Bild sieht wirklich so aus, als ob ihm sein Kuschelbär fehle. Blöd nur, dass das Bild fertig ist. Als der junge Mann am nächsten Tag immer noch darauf besteht, der Bam müsse ins Bild, fange ich an zu spinnen. Wie kriege ich jetzt noch den Teddy da rein, ohne alles zu versauen? Das Vieh ist ziemlich durchgeliebt und zottelig. Das zu malen, wird schwierig.

Tja, in solchen Situationen hilft nur ein Pflaster. Diesmal muss es allerdings im wahrsten Sinne des Wortes ein Bärchen-Pflaster sein: 

In den folgenden Tagen male ich „den Bam“. Mein Sohn tanzt um das Bild seines Kuschelteddies herum, setzt das Original neben seine „Zwillingsschwester“. Ich schneide das Bärchen aus und klebe es ins Bild. Ich vermale die Ränder, bis der Teddy perfekt ins Bild passt. Ich finde, er gibt dem Jungen im Bild wirklich Trost. In diesem Sinne ist der eingeklebte Kuschelteddy zum Bärchenpflaster geworden.

Die Moral…

War es das wert? Ich denke ja. Die Arbeitszeit am Bild muss ich deutlich nach oben korrigieren und es unterscheidet sich nur geringfügig vom ersten vermeintlichen Endergebnis. Aber ich habe bei der Pflasterei eine Menge gelernt:

  • Ich kann beim nächsten Mal getrost direkt ins Bild malen. Ich kann mich auf meine Fähigkeiten verlassen.
  • Teddies machen große Freude, echte und gemalte.
  • Der letzte Pinselstrich muss nicht der Schluss-Strich sein.
  • Trost-Pflaster kann man mit Holzleim ankleben, aber nicht überall…
  • Pflasterkleben ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Kunst. Und manchmal klebt Mama auch auf das fertige Kunstwerk was drauf, weil es dem Seelenheil dient.

(c) Ramona Eibach, www.funkelflocke.de

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