Eine Woche in Quarantäne kann die Seele ganz schön beschweren. Die erste Testrunde hat die ganze Familie in Atem gehalten. Es bleiben negative Ergebnisse und negative Gefühle.
Auf meiner Flucht in die Natur habe ich stark empfunden, was ich schon im Gedicht „Maskenball“ beschrieben habe: Nicht nur die Menschen sind krank, die ganze Welt ist es. So kommt ein melancholisches, aber nicht hoffnungsloses Gedicht zustande.
Wegmarken
Ich frage mich gerade wie es mir geht
Wer hat die Schilder am Wegrand verdreht
Wohin soll ich gehen wenn alles bricht
Ich finde die nächste Wegmarke nicht
Wenn man Kinder nicht vor die Tür lässt
Sie warten seit Tagen auf ihren Test
Angst vor der Krankheit das Hirn vernebelt
Die Schwächsten aus dem System aushebelt
Negativ ist positiv
So vieles ist hier schief
Die Angst vor Corona hat alles verkehrt
Das frische Leben eingesperrt
Wenn ich mich frage woran ich bin
Kann ich mich selbst nicht mehr verstehn
Meine Wegmarken sind verbogen
Die Krankheit hat mich um sie betrogen
Ich stoß die Türe auf
Ich muss hier raus
Ich will wieder atmen
Im Sauerstoff des Waldes baden
Eilig springe ich in die Schuhe
Brauche dringend meine Ruhe
Die Seele unter Geschrei erdrückt
Von Regeln das Gehirn zerpflückt
Wenn ich mich frage wie es mir geht
Will ich nicht, dass ich Antwort geb
Ich laufe lieber vor allem weg
Übersehe die Wegmarke mitten im Dreck

Weil ein Baum nicht fortlaufen kann
Setzt er Moos am Fuß an
Ich trample das weiche Grün zu Brei
Auf meiner Flucht aus dem Einerlei
In die Natur kann ich fliehn
Ich atme das Grün
Genieße den Wald
Doch die Freude stockt schon bald
Wenn ich mich frage wie geht es dir
Höre ich kein Echo in mir
Wo ich vor kurzem die Wegmarke fand
Fault jetzt ein Baumstumpf am Wegesrand

Woher kommt das viele Licht
Ich find den Wald ohne Bäume nicht
Der Hund macht nur noch an den Stumpf
Meine Gefühle melden sich dumpf
Die Lunge der Welt in Atemnot
So viele Bäume sind schon tot
Ich keuche auf meinem Lebensweg
Weil’s der Natur miserabel geht
Die Welt muss auf Intensivstation
Doch da liegen die Menschen schon
Der Wald hat uns so lange verwöhnt
Wer versorgt ihn? Er ächzt und stöhnt
Wenn ich mich frage wie es mir geht
Frage ich mich, was wohl besteht
Die Wegmarken verwesen
Wo einst ein Paradies gewesen

Abschiedsselfie mit einer Fichte
Bald macht der Käfer euch alle zunichte
Vielleicht sind wir die Letzten unserer Art
Gott hat uns so lange bewahrt
Baumleichen aufgestapelt am Weg
Keiner, der sie zu Grabe trägt
Sorge bei jedem Schritt den ich nehme
Zurück zu den Kindern in Quarantäne
Wenn ich mich frage wie es mir geht
Hab ich eine ehrliche Antwort verdient
Muss ich auch mitten durch die Gefahr
Wegmarken sind immerhin noch da
Ein Schwarm Gänse über mir schwebt
Er kennt die Richtung in die er fliegt
Ich laufe matschige Wege entlang
Ein Baum zeigt mir den Notausgang

Menschen haben den Erdboden erdrückt
Die Unschuld des Waldes kaputt gepflügt
Wo schwere Maschinen gefahren
Konnten sich neue Wege bahnen
Solang ich mich frage wie es mir geht
Ist in mir auch etwas, das lebt
Bald kann ich an frischem Grün
Wieder neue Wegmarken sehn
Wo ein Stumpf zeigt sich oben
Bleiben auch Wurzeln im Boden
Das Bild setzt mich zurück auf die Fährte
Hoffnung auf Wachstum nach Kahlschlag der Werte
Der Rest der Natur gibt mir Atemluft
Baumleichen als Brücken über die Kluft
Wo Viren und Borkenkäfer fliegen
Wird am Ende das Leben siegen
(c) Ramona Eibach, www.funkelflocke.de
Was für eine tolles Gedicht. Es beschreibt genau, wie es ist. Dreht man abends die Nachrichten an, alles von Hass und Viren begleitet. Die Angst ist ein täglicher Begleiter.
Mir gibt Gott die Kraft und macht mich heiter
LG Anja
P.S. Es sind keine Gänse sondern Kraniche die über uns fliegen 😉☺️
Danke für deine Rückmeldung. Ich freue mich sehr, wenn ich jemanden gefühlsmäßig abholen kann. Das ist für mich das schönste Lob. Keine Gänse? Na sowas. Ich habe sie auf die Entfernung verwechselt 😆
Du Wortkünstlerin!
Großartiges und vor allem ehrliches Gedicht. Ich beneide dich nicht um deine Situation. Und wer weiß, wie es mir ginge, wenn ich in Quarantäne müsste.
Komm gut durch mit deiner Familie. Ich hoffe, du findest einen Weg, den du gehen kannst. Ich hoffe, wir alle finden diesen Weg.
Danke dir! Wir haben Glück. Wir sind negativ. Die Quarantäne ist fast beendet. Meine schon länger, sonst dürfte ich ja nicht im Wald raumlaufen.