Ein Gefühlsrückblick auf zwei Wochen Dienstreise in Äthiopien
Tatsächlich habe ich mich in den ersten Tagen in Addis Abeba gefühlt, als müsste ich nochmal in meine Kindheit zurück.
Eine 44 Jährige, die weder sprechen noch verstehen kann. In den überfüllten Straßen der äthiopischen Hauptstadt war mir mulmig zu Mute. Wie kaufe ich mein Abendessen? Keine Ahnung, wann ich mich das zum letzten Mal gefragt habe. An meiner Seite meine Kollegin, der es auch nicht besser ging als mir. Begeistert feierten wir das erfolgreich “gejagte” Abendessen an Tag zwei unserer Dienstreise für unseren Arbeitsgeber Wycliff e.V. mit einem High Five. An unserem vorletzten Tag in Äthiopien taten wir etwas vorher Undenkbares: Wir überquerten eine vierspurige Straße.
Ohne die Hilfe einer deutschen Kollegin, die uns Schritt für Schritt in Kultur und Gepflogenheiten eingeführt hat, wäre ich total aufgeschmissen gewesen. Und ohne Einheimische, die ein Herz für Ausländer haben, wohl auch. Eine Erfahrung, die mir zu denken gegeben hat.
In den zwei Wochen in Äthiopien hatte ich so viele Reize zu verarbeiten, dass ich nicht mal mehr darüber schreiben konnte. Tagsüber hupende Autos und nachts singende Beter.
Wasser, mit dem man sich nicht die Zähne putzen sollte, wenn man gesund bleiben will. Duschen, ohne Wasser in den Mund zu bekommen. Alles musste ich gefühlt neu lernen. Ich bin eine erwachsene Frau, ich bin seit mehr als 20 Jahren verheiratet. Ich habe drei Kinder geboren, ich habe ein Studium und eine Berufsausbildung zu Ende gebracht und ich hatte das Bild von mir, dass ich im Leben zumindest soweit klar komme, dass ich überleben kann.
Plötzlich lerne ich wieder essen und Körperpflege wie eine Dreijährige.
Ich habe verstanden, dass ich als Landkind in einer Stadt mit mehr als fünf Millionen Einwohnern komplett verloren bin, dass ich mir als Deutsche im Äthiopischen Verkehr wahrscheinlich schon am ersten Tag die Ohren abfahren würde (oder einem der vielen Fußgänger oder dem Vieh auf der Fahrbahn), dass ich ohne Hilfe anderer schon beim ersten Kontakt mit dem Leitungswasser krank werden könnte. Ich hätte nicht gewusst, wo es welche Lebensmittel zu kaufen gibt und wie ich nach ihnen frage. Ich wäre nicht mal in der Lage gewesen, herauszufinden, wo ein Minibus hält und wie ich mich in so ein volles Ding reinquetschen soll.
Es hat mir gut getan, diese Erfahrung zu machen. Jetzt verstehe ich, wie es meinen Kollegen im Ausland am Anfang geht, ich verstehe, wie sich meine Kinder in neuem Umfeld fühlen, wie es Flüchtlingen geht. Ich verstehe, dass ich verletzlich bin und dass alles, was ich gelernt habe, in einem anderen Kontext plötzlich nutzlos sein kann. Es gibt allerdings auch einige Eigenschaften an mir, die mir sehr geholfen haben: Ich bin neugierig und lernwillig. Das sind genau die Dinge, die Babys brauchen, um zu wachsen und in der Welt klarzukommen. Mich beruhigt der Gedanke. In diesem Sinne kann es also sehr hilfreich sein, ein bisschen Kind zu bleiben. Auch wenn ich nicht gerade in einem vollkommen neuen Umfeld unterwegs bin, brauche ich manchmal eine Hand, die mich stützt. Manchmal gelingt es mir, mein unsicheres Selbst an die Hand nehmen, um mich zu vergewissern, dass ich noch laufen kann. In anderen Situationen brauche ich dazu andere Menschen. Welche, die schon einen Schritt weiter sind oder eine Lieblingskollegin, die in derselben Situation ist. Mir hilft es auch, an einen Gott zu glauben, der meine Unfähigkeit sieht und mich in der richtigen Situation an ein wichtiges Wort in einer fremden Sprache erinnert.
Was mir aber am meisten hilft, ist zu verstehen, dass ich manchmal einfach hilflos wie ein Kind bin. Das darf sein. Wenn ich das Kind in mir bewahre, bleibt auch das Potenzial, zu wachsen.
(c) Ramona Eibach, www.funkelflocke.de