Ebbe

Das Wasser ist weit weg, als ich mich auf der Decke räkele. An meinem Fuß prangte noch bis eben ein knallroter Verband. Entzündung an der Achillessehne, keine Ahnung woher. Wahrscheinlich vom Herumlungern.

Der stechende Schmerz hat mir ein Urlaubshighlight beschert, denn zum ersten Mal habe ich die Notaufnahme des Klinikums Wilhelmshaven „besichtigt“. Dort haben sie mich gut gelaunt und schnell behandelt. Okay, ich war etwas verwirrt von der Gesprächseröffnung in der Notaufnahme. „Warum waren Sie nicht beim Hausarzt?“ „Ich bin hier im Urlaub“, antwortete ich etwas kleinlaut, als mir ein Lächeln begegnete: „Na dann verstehe ich das natürlich.“

Ich liege am Strand mit dem ausdrücklichen ärztlichen Rat, den Fuß zu schonen und zu kühlen. Die Kühlung hat das Meer übernommen, bis es sich zurückgezogen hat. Jetzt relaxe ich mit Blick auf den Matsch. Ich bin definitiv nicht der Typ zum Stillhalten, aber wenn es sein muss, dann geht es. Ich lese also endlich das Buch fertig, das ich vor fünf Monaten begonnen habe. Beginne ein neues. Genieße die Aussicht, schaue meinen Kindern zu, wie sie sich im Sand eingraben, döse, lungere herum und denke. Verrückt. Einfach daliegen und meinen Gedanken nachhängen. Der Urlaub ist so entspannt, wie er nur sein kann, sogar die Sonne entspannt sich gerade und lässt mal die Wolken machen. Die Flut macht Pause und gönnt sich eine Ebbe.

Lernen von der Nordsee: Ab und zu darf ich mir eine Ebbe gönnen.

Das mit dem „Machen lassen“ lerne ich gerade.

Mein Mann hat des Öfteren betont, ich solle ihn einfach mal machen lassen, ohne mich einzumischen. Ich finde, er hat Recht. Ich lerne gezwungenermaßen neue Seiten an mir kennen. Meine innere Ruhe entspricht erstaunlicherweise der äußeren. Da regt sich kein Widerstand. Ich hänge einfach hier ab, mache Urlaub auf eine Weise, wie ich es mir nie vorstellen konnte: horizontal.

Es ist gar nicht schlimm!

Tausende Menschen haben es schon vor mir getan und sind nicht vor Langeweile gestorben. Vielleicht ist das sogar das Schöne: Dass ich einfach nur da sein kann, ohne Wuseln und Hibbeln. Ebbe ist, wenn sich das Wasser zurück zieht. Es gibt keine Wellen mehr und die Bewegung wird unscheinbarer. Bei genauem Hinschauen sieht man allerdings so einiges: Die Muschel, die sich eingräbt, den Taschenkrebs, der sich versteckt. Sie alle tun das Nötige zum Überleben. Also bin ich nur in guter Gesellschaft, wenn ich meinen Fuß hochlege. Ebbe ist nicht mein Lieblingszustand, aber ich habe heute meine Zwangsauszeit genossen. Es kann ungeheuer befreiend sein, sich mal nicht gegen die Flut behaupten zu müssen. 

(c) Ramona Eibach, www.funkelflocke.de

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