Das Leben mit Kindern wäre so schön – wenn da nicht die gemeinsamen Mahlzeiten wären. Wer bitte hat dieses kitschige Bild von der schönen Familienzeit bei Tisch gemalt? Das stammt wahrscheinlich aus Bullerbü. Bei uns sieht es jedenfalls oft anders aus. Auch heute war es nicht besser. Oder vielleicht doch.
“Die Polenta auf ein Backblech streichen und eine Stunde lang auskühlen lassen.” Normalerweise können solche Rezepte damit rechnen, dass sie von mir sofort mit Nicht-Kochen bestraft werden. Dafür fehlt mir im Familien-Wahnsinn die Zeit. Aber heute bin ich (aus mir völlig unverständlichen Gründen) im Ausprobier-Modus. Tatsächlich stehe ich etwa eine Stunde später in der Küche und steche liebevoll Herzen aus abgekühlter Polenta-Masse aus, um sie anschließend “in der Pfanne goldgelb” zu braten. Dazu kredenze ich ein fruchtiges Chutney aus Zwiebeln und Johannisbeeren. Freundlicherweise pflückt meine Tochter die Beeren. Sie und der mittlere Sohn schälen und schnippeln auch fleißig Karotten. Das machen sie, damit ich mich ausruhen kann. Das finde ich ausgesprochen süß.
Denn eigentlich soll ich, laut Arzt, meinen schmerzenden Fuß hochlegen. Trotzdem kann ich eine fast 7-Jährige und einen 5-Jährigen wohl nicht unbeaufsichtigt mit Schäler und Messer hantieren lassen. Sie machen es aber auch, damit sie keine “eklige Zucchini” essen müssen. Ich musste hoch und heilig versprechen, die “eklige Zucchini” aus dem Garten nicht mit den Möhren zu vermischen. Am Ende brauche ich die Zucchini auch gar nicht zuzubereiten, denn leider ist sie innen drin gefault. Meine Tochter kommentiert das lapidar mit: “So ein Glück!”
Noch seltsamer, als der Umstand, dass ich überhaupt etwas Exotisches koche, ist die Tatsache, dass ich auch Zeit dafür habe. Ich freue mich, dass die Kinder später wieder ins Spiel vertieft sind und genieße das Kochen. Das ist gar nicht so einfach, denn heute humpele ich zwischen Herd und Kühlschrank hin und her. Ich freue mich auf ein außergewöhnliches Mittagessen. So rühre und brate ich tapfer weiter. Als ich die Kinder zum Essen rufe, duftet es verlockend.
Kulinarischer Hochgenuss getrübt durch drohenden Infarkt
In freudiger Erwartung ihrer strahlenden Augen gebe ich jedem Kind ein Polenta-Herz auf den Teller. Doch da ziehen plötzlich Gewitterwolken über dem Esstisch auf.
Meine Tochter verzieht missbilligend das Gesicht und kündigt mit düsterer Miene an: “Das esse ich nicht!” Ich bin völlig irritiert, was mich wiederum noch mehr irritiert. Das ist das dritte Mal, dass ich mich heute selbst nicht verstehe. Denn tatsächlich ist es ganz normal, dass sie etwas nicht essen möchte. Ich hatte wohl gaaaanz tief drin gehofft, dass die Herzform dazu führen würde, dass sie das Essen zumindest probiert. Immerhin isst sie nach einiger Überwindung die Karotten (nach eigenen Angaben, weil sie sie selbst geschält hat) und futtert begeistert vom Chutney.
Ich selbst genieße alles voller Freude. Ich finde, ich habe heute wirklich lecker gekocht. Diesen Erfolg lasse ich mir nicht nehmen. Noch besser würde es allerdings ohne Gemecker schmecken.
Während der Jüngste schon nach der zweiten Portion verlangt (was mich etwas tröstet), fängt der Mittlere auch an, zu schimpfen: “Mama, ich bin satt! Ich kann die komische Grütze nicht länger im Magen aushalten!” Nach kurzem Schreck bin ich allerdings sicher, dass er das Essen bei sich behalten wird. Immerhin hat er sich offenbar überwinden können, ein Polenta-Herz fast komplett aufzuessen. Die Älteste meckert immernoch: “Ich esse die Polenta-Herzen nicht!” Als erfahrene Mutter bemerke ich, dass sie vermutlich noch mehr loswerden will, denn inzwischen habe ich definitiv kapiert, dass sie nicht probieren möchte. Also repariere ich im Geiste notdürftig mein mehrfach gebrochenes (Polenta-)Herz, breite trotz ihrer Zickigkeit meine inneren Arme in ihre Richtung aus und sage: “Warum genau möchtest du das nicht essen?” Ihre Antwort lautet kurz und knapp: “Dann kriege ich einen Polenta-Herzinfarkt!” Ich sehe vor meinem inneren Auge schon die Schlagzeile: „Tod beim Mittagessen. Schuld war das Herz.“ Das kann ich natürlich nicht riskieren. Ich muss schmunzeln.
Heute habe ich etwas Wichtiges verstanden: Wenn es mir in meinem Alltag gelingt, mir einen kleinen Erfolg zu braten, muss ich ihn mir anschließend auch auf der Zunge zergehen lassen. Egal ob er bei anderen drohendes kulinarisches Organversagen hervorruft.
(c) Ramona Eibach, www.funkelflocke.de