Die S-Bahn-Tür öffnet. Aus ihr schwappt eine Welle und überschüttet die Haltestelle „Frankfurt Messe“ mit Manga-Figuren, weitern Comic-Helden, Anzugträgern, schillernden Persönlichkeiten und Unscheinbaren. Mittendrin ein Nobody mit lila Rucksack: ich. Ein Landei in der Großstadt. Auf mich warten Menschenmassen und Bücher, Bücher, Bücher. Wenn alles gut geht, wird meins im nächsten Jahr auch hier stehen – als eins unter Millionen. Jetzt bin ich vor ihm hier.
Ich bin ohne Vorwarnung in die Welt der Buchautoren geraten. Nie hatte ich mir vorgenommen: „Irgendwann schreibst du mal ein Buch.“ Es war einfach soweit. Den Verlagsvertrag habe ich schon lange in der Tasche, das Machwerk ist schon etwa zur Hälfte geschrieben. Das alles kam fast überfallartig in mein Leben. Vielen habe ich persönlich davon erzählt, aber es fühlte sich nicht realistisch genug an, um es in die digitale Welt rauszuhauen. Es war wie ein Traum, der erst fertig geträumt werden muss: Du bist mittendrin, aber du denkst, du erwachst jeden Moment. Jetzt ist es soweit. Jeder darf es wissen: Ich schreibe ein Buch. Und jetzt, wo du so richtig neugierig bist, was darin steht, mache ich (absichtlich) einen Anfängerfehler. Ich wechsle das Thema. Denn ich habe die Wahrheit nur rausgerückt, weil ich berichten möchte, was mich bewegt.
Die Zeit ist reif für die Buchmesse. So vieles spricht dafür, hin zu fahren:
Ein kostenloses Ticket. Die Verlagsleiterin treffen, die so verrückt war, mir ein Buchprojekt zuzutrauen. Hauptsächlich will ich aber in Frankfurt mich selbst treffen, genauer gesagt, mein zukünftiges Ich als Buchautorin. Es ist eine Selbstfindungsreise: Ich muss mir klar werden, was ich mit meiner Schreiberei möchte.
Das Herz der Literaturparty
Diese gigantische Verkaufsbörse und Literatur-Party ist mir eindeutig zu groß, zu bunt, zu laut. Also versuche ich zu ihrem Herzen durchzudringen. Ich spreche mit Menschen, die aus verschiedenen Gründen hier sind. Der erste, mit dem ich an diesem Tag rede, ist ein junger Mann. Er freut sich wie ein Schneekönig über seinen Kauf: ein ansehnlicher Stapel seltener Manga-Comics. Er erzählt mir, er sei ein Sammler. Um all seine Schätze sicher nach Hause zu bringen, ist er mit einem leeren Koffer angereist. Im Grunde geht es mir auch so: Ich bin voller Vorfreude auf die Welt der Autoren hergekommen. Ein Bereich meines Herzens ist so leer wie der Buchkoffer des Comicsammlers. Ich bin bereit Eindrücke aufzunehmen und zu speichern, bis er voll ist. Alles darf erstmal sein: Ideen, Positives wie negatives, auch das, was ich nicht möchte.
Ich sehe unendliche Schlangen an Signierständen. Die Dichter und Denker schreiben sich die Finger wund, sprechen geduldig mit jedem, der von ihnen eine Unterschrift wünscht. Harte Arbeit ist das. Bei Talks und Lesungen drängen sich Menschenmassen. Auch ich höre mir 4 Autorengespräche an. Allen gemeinsam ist, dass die Autoren und vor allem ihr Erfolg sehr gelobt werden. Meist geht es um Quantität: Um Verkaufszahlen, um Lesereisen, um Menschenmassen, die der Künstler mit seinem Werk begeistert. Mein Magen fühlt sich flau an. Für mich ist das alles nicht erstrebenswert. Ich bin mit meinem Status zufrieden.
Ein Interview ist besonders: Der Moderator ist angetan vom Schreibstil des Gegenübers. Offenbar ist er schockverliebt in den Roman der Norddeutschen, obwohl er nach eigenen Angaben anfangs davon enttäuscht war. So kommt es, dass die beiden in ein sehr tiefes Gespräch kommen. Sie erklärt, wie sie ihren Schreibstil dem Inhalt des Buches angepasst hat. Ein Prozess, der Kraft gekostet hat, der sie aber unendlich beschenkt hat. Ich sitze im Zuhörer-Haufen am Boden kauernd in einer Ecke. Vor Begeisterung, vergesse ich, dass mein Hintern eingeschlafen ist und mein linkes Bein inzwischen bis zur Hüfte schmerzt. Es ist einfach scheußlich voll hier und der Boden ist hart. Meine Füße sind schon völlig kaputt gelaufen, aber all das ist gerade egal. Mein Gehirn ist hellwach und saugt jedes Wort tief ein. Mein Herz schlägt höher.
DAS ist es, warum ich schreibe! Weil es Spaß macht, weil ich mich dabei weiterentwickeln kann. Weil Sprache faszinierend, unerschöpflich und trotzdem so alltäglich ist. Weil es Dinge gibt, die ich nur schreibend entdecken und be-schreiben kann. Der Plot des vorgestellten Romans interessiert mich nicht die Bohne. Ich kaufe trotzdem ein signiertes Exemplar. Die Einzigartigkeit der Autorin hat mein Herz erreicht. Die Authentizität des Moderators hat mich neugierig gemacht: Ich will unbedingt wissen, wie diese Frau schreibt!
Deshalb bin ich hier: Ich will lernen, wachsen, reifen. Seit ich an meinem Buch schreibe, nehme ich die Welt viel intensiver wahr. Ich entdecke überall Geschichten, lebe in ihnen, will nichts mehr von ihnen verpassen. Die Welt ist so reich und voller Schönheit!
Ich möchte das dokumentieren. Ich spüre Erlebnissen nach. Ich will herausfinden, was sie in mir auslösen. All das schreibe ich auf. Im Idealfall steckt es andere an. Vielleicht spüren sie meine Faszination, möglicherweise vergessen sie so eine Zeitlang ihre vom Alltag schmerzenden Körperteile. Das wünsche ich mir.
Besser den Zug verpassen als das Wesentliche
Die Buchmesse ist eine einzige Reizüberflutung. Ich werde noch viele Tage brauchen, um all meine Eindrücke zu sortieren. Was ich aber jetzt noch deutlicher sagen kann, als vorher schon: Die große Bühne reizt mich nicht. Ich möchte für die kleinen Dinge des Lebens schreiben. Hier werde ich weiter meinen Weg suchen. Der Herzenskoffer ist voll geworden. Die Sonne steht schon tief, als ich gedankenschwanger durch die Menge den Ausgang vom Messegelände suche. Es beginnt zu regnen. Meine Augen scannen den Himmel, ich drehe mich um. Nichts. Auf der Brücke zur S-Bahn habe ich die Hoffnung auf den Regenbogen noch nicht aufgegeben. Da steht er über dem Messegelände: Deutlicher und leuchtender als ich ihn je zuvor gesehen habe. Als ich den Auslöser drücke, höre ich den Pfiff. Die S-Bahn fährt ohne mich. Ich muss einen Moment festhalten. Gottes Zeichen der Versöhnung über der Buchmesse! Das hier ist mein Regenbogen, ich will ihn nicht verpassen. Der nächste Zug kommt bestimmt, diese Szene lässt sich nicht wiederholen.
Ich weiß, heute ist die Zeit reif. Was schon lange real ist, ist jetzt auch in meinem Herzen angekommen: Ich muss schreiben. Anders geht es nicht mehr. So kommt es, dass auch das Internet Bescheid wissen darf: Ich schreibe ein Buch. Ich bin sehr beschenkt, weil ich schreiben darf.
(c) Ramona Eibach, www.funkelflocke.de